Südkorea, Musik & Klang, 2025, in Berlin

Okkyung
Lee

Photo: Eun Chun

Unbedingt ist ihre Musik; vorbehaltlos und dringlich. Egal ob man Okkyung Lee als Solo-Performerin erlebt, im improvisatorischen Austausch mit anderen, als Komponistin für Ensembles zeitgenössischer Musik, als Soundarchitektin raumspezifischer Werke oder auch als Schöpferin verspielter Synthiemelodien – immer ist ihre neugierige Experimentierlust zu spüren und ein entschiedener persönlicher Ausdruck. „Die Essenz meiner Musik liegt in der Intensität, wie ich mich mit Klang verbinde“, sagt sie, als wir ein paar Wochen vor ihrer Abreise nach Berlin via Videotelefonie sprechen.

1975 im südkoreanischen Daejeon geboren, bekommt sie mit sechs Jahren ersten Cellounterricht, erlernt das klassische Repertoire für ihr Instrument: Die Suiten von Bach, die Konzerte von Dvořák und Elgar. Leidenschaftlich habe sie damals nicht Cello gespielt, erzählt Lee, zu uniformiert sei die Ausbildung gewesen und zu wenig attraktiv die beruflichen Perspektiven für eine junge Musikerin im Korea der Neunzigerjahre. Also geht sie zum Studium in die USA, zuerst an das Berklee College of Music (Filmmusik und Komposition), danach an das New England Conservatory of Music (Zeitgenössische Improvisation).

In diesen Jahren entdeckt Okkyung Lee das freie Improvisieren für sich; eine Musizierhaltung, die ihr eine bis dato unbekannte spielerische Freiheit erlaubt. Nach ihrem Umzug von Boston nach New York wird sie Teil der dortigen Szene und sehr bald eine international überaus gefragte Improvisatorin und Kollaborationspartnerin. War in den vergangenen Jahren diese Facette ihrer künstlerischen Praxis etwas in den Hintergrund geraten, möchte sie während ihres DAAD-Aufenthaltes in Berlin wieder verstärkt in verschiedenen Konstellationen mit Musiker*innen improvisieren, anderen dabei zuhören, eigene Gewohnheiten und Prinzipien auf den Prüfstand stellen.

„Noise + others“ – so überschreibt Okkyung Lee selbst ihre Arbeit und meint mit Noise nicht das konkrete Musikgenre (dem sie mit seinem Faible für Klangverfremdung und oft extremer Laustärke allerdings auch zugetan ist), sondern die Wucht, mit der Noise unter die Oberfläche von Klangen geht. Wenn man sich für längere Zeit auf nur eine Sache konzentriere, beharrlich immer tiefer schürfe, dann komme im Idealfall etwas sehr Persönliches zum Vorschein, sagt Lee und spricht deshalb auch von einem höchst romantischen Gestus. Ähnlich geht sie beim Komponieren vor, jedes Werk ist die Essenz einer intensiven Auseinandersetzung mit einem ganz bestimmten Thema – wie zum Beispiel in Cheol-Kkot-Sae (uraufgeführt 2016 bei den Donaueschinger Musiktagen), für das sie sich eingehend mit der koreanischen Tradition des Pansori beschäftigt hat. In einer jüngeren Auftragsarbeit für das Explore Ensemble (Signals uraufgeführt 2024 beim Transit Festival) ging sie den musikalischen Qualitäten von Signalen nach, für das Présences Festival der Groupe de recherches musicales (GRM) kreierte sie im selben Jahr als Composer-Performerin mit byeol zum ersten Mal ein Werk für Cello und Elektronik. In Berlin wird Okkyung Lee weiteren kompositorischen Ideen nachgehen – zum Beispiel für Streichorchester oder Frauenchor. Vielleicht aber gründet sie endlich auch die Rockband, vor der sie manchmal träumt: „I want to do it all!“, lacht sie. Unbedingt.

Portaittext von Julia Neupert

zum Seitenanfang