Palästinensische Gebiete / Schweden / Syrien, Literatur, 2019

Ghayath
Almadhoun

Foto: Krzysztof Zielinski

„Ich, der syrisch-palästinensisch-schwedische Flüchtling, trage eine Jeans der Marke Levi‘s, die ein jüdischer Flüchtling aus Deutschland in San Francisco erfunden hat, und fülle meine Kamera mit Fotos wie eine russische Bäuerin den Milcheimer unter ihrer Kuh. Ich nicke wie jemand, der die Lektion verstanden hat, die Lektion vom Krieg“, heißt es in Ghayath Almadhouns Gedicht „Schizophrenie“ (in Ein Raubtier namens Mittelmeer, dt. 2018).

Almadhoun wurde 1979 im Flüchtlingslager Yarmouk in Damaskus geboren. Seine Familie war im Zuge der Nakba von 1948 aus Aschkelon nach Gaza vertrieben worden und musste 1967 auch von dort fliehen. Er studierte arabische Literatur an der Universität und veröffentlichte im Alter von fünfundzwanzig Jahren mit Qasaed sakatat sahwan (Absichtslose Gedichte) seinen ersten Gedichtband. Zwei Jahre darauf gründeten Almadhoun und der syrische Dichter Lukman Derky The House of Poetry, einen Raum für freie Ausdrucksformen in Damaskus. 2008 sah er sich gezwungen, nach Stockholm zu reisen und politisches Asyl zu ersuchen.

Auch in Schweden veröffentlichte Ghayath Almadhoun weiterhin Gedichte. Er begann, sowohl auf Schwedisch als auch auf Arabisch zu arbeiten, und erhielt Auszeichnungen für sein Werk. In Zusammenarbeit mit der schwedischen Dichterin Marie Silkeberg entstanden neben dem Gedichtband Till Damaskus (2014) eine Reihe von Poetryfilmen. Dieses Genre stellt das Wort über das Bild – und verwehrt sich somit der üblichen Filmlogik. Für Almadhoun ist es eine neue Form der Veröffentlichung, mit der sich ein Publikum erreichen lässt, das sonst vielleicht nicht lesen würde. Seit 2017 arbeitete er an Projekten mit der Künstlerin Jenny Holzer, die unter Verwendung seiner Verse mehrere Installationen realisierte.

„Nach der syrischen Revolution hat die Literatur einen anderen Stellenwert für mich erhalten“, so Almadhoun. „Revolution bedeutet für mich der Widerstreit zwischen Moderne und Tradition, zwischen Neu und Alt, Feminismus und Patriarchat, Bevölkerung und Diktatur, zwischen jungen DichterInnen und Altmännerdichtern.“

Revolutionär in ebendiesem Sinne ist auch Almadhouns Schreiben: „– Wie heißt die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo? / – Antwerpen.“ Unruhe durchdringt die vielgestaltigen Formen, Klänge und Rhythmen von Gedichten wie „Die Hauptstadt“ (ebd.): „In dieser Stadt, die sich von Diamanten nährt. / Wachsen Stacheldrähte in den Versen der Dichter. / Sterben die Termine im Kalender.“ Der eigentliche Aufstand aber vollzieht sich über das, was erzählt wird – rebellisch, kämpferisch, kritisch, sehnsüchtig. „Lass uns die Dinge beim Namen nennen. / Bücher sind Gräber für Gedichte. / Häuser sind Zementzelte. / Hunde sind Wölfe, die die Unterwürdigkeit akzeptiert haben.“ In jeder Zeile ist Almadhoun darum bemüht, Erwartungen zu unterlaufen, Mutmaßungen zu enttäuschen und überraschende Kontraste zu erzeugen. Auch er selbst wird zum Gegenstand des Aufruhrs. In dem Gedicht „Ich kann nicht anwesend sein“ skizziert er die Widersprüchlichkeit seiner (un)freiwilligen Lebensbedingungen: »[…] meine Abwesenheit [ist] ein Zufall, der sorgfältig geplant war, aufs Geratewohl beabsichtigt […]«

Gedichte helfen Ghayath Almadhoun dabei fortzubestehen. Wieder und wieder fragt er sich: „[…] werde ich es diesmal überstehen? Werde ich wieder schreiben können

Text: Priya Basil
Deutsche Übersetzung: Gregor Runge

Vergangen

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