And who has not dreamed of violence?

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And who has not dreamed of violence?

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Mit Arbeiten von Sung Hwan Kim

Eröffnung: 26. Januar 2018, 19-21h

Das im zentralen Pavillon in den Giardini präsentierte Video »Love Before Bond« von Sung Hwan Kim (in Kooperation mit dem Musiker David Michael DiGregorio alias dogr) darf als eines der Highlights der just vergangenen 57. Kunstbiennale in Venedig bezeichnet werden.
In seiner ersten Einzelausstellung in Berlin zeigt Kim diese Arbeit neben weiteren Werken im Rahmen einer neuen, für die daadgalerie entwickelten, raumgreifenden Installation.

Ängste und Depression, das Unbehagen und die Wut heutiger Teenager sowie Rassismus, Vorurteile im Alltag, fehlende mediale Repräsentation und gesellschaftliche Teilhabe, sind Themen von „Love Before Bond“, die in szenischen Sequenzen mit jugendlichen Protagonisten anklingen.

Die beklemmende Atmosphäre der verschiedenen bühnenhaften Interieurs wird begleitet von einer poetischen Narration, die Passagen aus Essays des afroamerikanischen Schriftstellers und Bürgerrechtsaktivisten James Baldwin aufgreift.
Häufig wählt Kim ein literarisches Werk als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Arbeit, dass ihm die Auseinandersetzung mit einer bestimmten künstlerischen Sprache, mit Zeitperioden und gesellschaftspolitischen Fragen ermöglicht. Dabei ist Sungs eigene künstlerische Vorgehensweise poetisch, assoziativ und rhythmisch-musikalisch, voller anspielungsreicher Gesten und wiederkehrender Motive, die verschiedene Lesarten nur anklingen lassen.

In „Love Before Bond“ geben Zitate Baldwins und anderer Autoren, wie William Shakespeare oder Joseph Conrad, die Baldwin in seinem Roman „Another Country“ (1962) zitierte sowie teils auf Arabisch gesprochene Textpassagen, der Teenage-Angst der jugendlichen Protagonistinnen eine Sprache und – vor dem Hintergrund von Baldwins Beschreibungen der emotionalen Auswirkungen von Rassismus und gelebter Homosexualität in der amerikanischen Gesellschaft der 1950er und 60er Jahre – einen historischen Horizont.
Die Darsteller sind jedoch auch reale Vertreter einer jüngeren Generation (sie alle wurden im Jahr 2000 geboren), die im Rahmen eines Workshops die Szenen mit dem Künstler erarbeitet haben. Darunter auch Samori Coates, der Sohn des Schriftstellers Ta-Nehisi Coates, dessen vieldiskutiertes Buch „Between the World and Me“ (2015) eine Analyse des amerikanischen Rassenkonflikts in Form eines Briefs des Autors an seinen 15-jährigen Sohn liefert. Eine weitere Performerin ist die Nichte des Künstlers, die als Teenager und als heranwachsende amerikanisch-koreanische Frau ein Identifikationsmoment in einer Geschichte der Marginalisierung suchte. Ihre reale Frustration war eine wichtige Inspiration für den Film. In „Love Before Bond“ wird ihre Figur mit Motiven der Geschichte der Unterdrückung der afroamerikanischen Community in Zusammenhang gebracht.

So wirkt „Love Before Bond“ wie eine Science-Fiction-hafte Liebesgeschichte von Menschen, die sich noch nicht begegnet sind. Auch wieder in Anlehnung an Baldwin, arbeitet Kim mit dem „Potential von Erzählungen, die Verbindungen zwischen Individuum und historischem Kontext aufzudecken oder zu verdecken“.

Dabei greift der Film in den kurzen Szenen verschiedene Motive aus Baldwins Texten auf, die auch heute noch zur alltäglichen Erfahrung afroamerikanischer Jugendlicher gehören dürften, wie z.B. das sprichwörtliche „der Schnürsenkel und des Gürtels beraubt werden“ (deprived of shoe-laces and belt) im Gefängnis –Baldwin zufolge eine der demoralisierendsten Erfahrungen seines Lebens– oder die Vorsicht und Haltung, die ein Afroamerikaner in der Öffentlichkeit zur Schau stellen sollte, um nicht Gefahr zu laufen, verhaftet oder womöglich erschossen zu werden.

Diese Motive werden implizit der Geschichte und der heutigen Situation koreanischer Einwanderer in den USA gegenübergestellt. Im Gespräch spannt Kim einen Bogen von den ersten Einwanderungsgesetzen und Einwanderungsverboten speziell für asiatische Immigranten über die L.A. Riots von 1992 zum heutigen Status der asiatischen Bevölkerungsgruppen. Die L.A. Riots infolge des Rodney King Prozesses gelten hier als ein (negatives) Schlüsselerlebnis für die afroamerikanische wie auch für die koreanische Gemeinschaft in den USA, in dem sich die Schicksale beider Minderheiten symptomatisch überschnitten.

Jenseits dieser Zusammenhänge operiert „Love Before Bond“ in einem eigenen Universum, geschaffen aus Gesten und collagenhafter Bildgestaltung, einem Spiel mit Perspektive, Licht, Schichtung von verschiedenen Materialien und Oberflächen, Bewegung und Klang, dass sich jenseits des projizierten Bildes in der Gestaltung des Ausstellungsraums fortsetzt. Wie ein erweiterter Filmraum reflektiert dieser Formen und Gesten des Films und anderer Arbeiten von Kim. Ein wiederkehrendes Motiv ist eine spezifische Säulenform aus dem „Pleasure Pavillon“ (1962) im Garten von Philip Johnsons „Glass House“. Kim, der selbst Architektur studierte, inszeniert über diese im Kontext von „Love Before Bond“ auftauchende Säulenform quasi eine formale Begegnung der aus seiner Sicht künstlerisch und politisch antipodischen New Yorker Zeitgenossen Baldwin und Johnson, die in der Realität niemals stattgefunden hätte.

Das der Ausstellung ihren Titel gebende Zitat „And who has not dreamed of violence“ stammt aus James Baldwins Essay »Alas, Poor Richard« von 1961. Teil des Ausstellungstitels ist auch die Übersetzung des Zitats ins Sudan-Arabische, ein Dialekt des Arabischen, den einer der Jugendlichen in „Love Before Bond“ spricht. Von Sung Hwan Kims Interesse an Übersetzungsprozessen und am Sprachexperiment zeugt auch sein 2015 während seines einjährigen Berlin Aufenthalts entstandenes Theaterprojekt „피나는 노력으로 한 (A Woman Whose Head Came Out Before Her Name)“. Das im selben Jahr in Gwangju, Korea, erstmals aufgeführte Theaterstück, das Performance, Live-Musik, Licht und Live-Filmübertragung in ein vielschichtiges Bühnenbild mit verschiedenen Architekturelementen wie Treppen oder Türen einband, ist motivisch und konzeptuell ein Vorläufer von „Love Before Bond“. Teil der Ausstellung in der daadgalerie ist ein Skizzenbuch – präsentiert auf einer verkleinerten Variante eines Bühnenelements -, das Einblick in den Werkprozess des Stücks gibt, das u.a. die Gedichtsammlung „Prosa del otoño en Gerona“ von Roberto Bolaño zum Ausgangspunkt nimmt. Jedoch nicht die spanischen Originalgedichte von Bolaño sondern Kims Übersetzung bzw. Umdichtung ins Englische. Aus der Beschäftigung mit den Übersetzungen entstanden Zeichnungen, die wiederum in Gesten und Bewegungen umgesetzt wurden. Auch das Motiv eines vom Blitz getroffenen Vogels, das in Zeichnungen und Collagen und in einer Wandzeichnung in der Ausstellung auftaucht, bezieht sich entfernt auf eine Novelle Bolaños.

Auf der Bühne von “피나는 노력으로 한 (A Woman…)“ befand sich u.a. eine Ansammlung von Türrahmen, die perspektivisch unterschiedlich ausgerichtet waren und permanent von mehreren Performern aus verschiedenen Richtungen durchschritten wurden. Dieses Bild steht bezeichnend für Kims Arbeiten, deren vielschichtige Logik sich prozesshaft erschließt. Passenderweise lässt sich der koreanische Titel des im englischen „A Woman Whose Head Came Out Before Her Name“ genannten Stücks mit „Trying until you bleed“ übersetzen.

Sung Hwan Kim (*1975 in Seoul), lebt in New York. Jüngere Einzelausstellungen: CCA Gallery Kitakyushu, Japan, (2016); Life of Always a Mirror, Art Sonje Center, Seoul, Korea (2014); East Tank, The Tanks at Tate Modern, London (2012); Jüngere Gruppenausstellungen und Performances: “Viva Arte Viva”, Central Pavilion, 57th Venice Biennale; Woman Whose Head Came Out Before Her Name, Asian Culture Center, Gwangju, Südkorea (2015). 2015 war Sung Hwan Kim Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.

Tue-Su 12-19h

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