Polen, Literatur, 2007

Piotr
Sommer

Piotr Sommer, 1948 in  Wałbrzych / Schlesien geboren, ist einer der wichtigsten polnischen Lyriker der jüngeren – auf Zbigniew Herbert, Tadeusz Różewiczoder Wisława Szymborska folgenden – Generation und lebt als Dichter, Essayist, Übersetzer aus dem Englischen sowie Chefredakteur der renommierten Literaturzeitschrift „Literatura na Świecie“ (Literatur in der Welt) in Sulejówek bei Warschau.

Seit 1977 hat Piotr Sommer acht Gedichtbände (zuletzt „Piosenka pasterska“, Hirtenlied, 1999) und zwei Essaybände (zuletzt „Po stykach“, 2005) veröffentlicht sowie Übersetzungen ins Polnische etwa von Frank O’Hara, Charles Reznikoff, John Ashbery, Robert Lowell, Allen Ginsberg oder Seamus Heaney vorgelegt – darunter neben Buchausgaben auch im Jahr 1986 das berühmte „Literatura na Świecie“-Heft, in dem Piotr Sommer New Yorker Lyriker in polnischen Übersetzungen vorstellte und damit der Dichter-Generation der „jungen Barbaren“, die Ende der 80er Jahre in Polen debütierten, entscheidende Impulse gab. Seit den achtziger Jahren unterrichtet Piotr Sommer regelmäßig an amerikanischen Universitäten. Er wurde mehrfach mit wichtigen Literatur- und Übersetzerpreisen ausgezeichnet. Auf deutsch erschien von Piotr Sommer im Jahr 2002 der Auswahlband „Ein freier Tag im April“ in der Edition Korrespondenzen; in der Literaturzeitschrift „die horen“ hat Piotr Sommer in der Ausgabe 4 / 2004 unter dem Titel „Alles ist einmalig …“ dreizehn polnische Dichter vorgestellt.

Gedichte, die wie aus dem Ei gepellt daherkommen, um sich im Licht der Öffentlichkeit zu sonnen, machen Piotr Sommer skeptisch. Genauso Gedichte, die einen feierlichen Ton anschlagen und den erhobenen Zeigefinger bereits in der Jackentasche versteckt halten. Und politische Gedichte, ausgestellt mit Stempel und Papier – davon hat es in Polen schon zu viele gegeben. Piotr Sommer setzt auf das Konkrete in der Poesie: „Alltagspoesie“ ist sein „Gegengift zu globalen Haltungen und Verlockungen“. Dabei geht es ihm nicht darum, „wie oft in einem Gedicht Oolong-Tee, die Kruczastraße, der Broadway oder der Mitbürger Malicki aus Świder bei Warschau auftritt, sondern um einen spezifischen Geschmack der Sprache.“ Und der ist bei Piotr Sommer unverkennbar. Seine Gedichte bleiben nahe an den Menschen und Gegenständen, die unseren Alltag bevölkern, beim Weg zwischen Haltestelle und Haus, beim Baum auf dem Powązki-Friedhof, beim alten Hund, der der Lift kommen hört, oder beim kleinen Jungen, der noch nicht weiß, dass er eine Hasenscharte hat; seine Gedichte horchen den Ironien nach, „die keiner mitkriegt, die kurzlebig sind / und ohne Nachdruck“, den „trivialen Pointen / die mit abwegigen Details die Metaphysik / quittieren“, den „freien Tagen, so man will, / freitags im April“ und der „Mnemotechnik der Tage“; sie nehmen ganz alltägliche Begebenheiten und Beobachtungen in den Blick und machen unsere Wahrnehmung durchlässig für den numinosen Raum, der direkt neben dem flirrenden, fluiden Konglomerat aus Zeichen, Geräuschen und Erinnerungen existiert. Denn darin, „in diesem Zwischensinn“, steckt der ganze Mensch – und in dieser Suche nach dem „Zwischensinn“ steckt in Piotr Sommers Gedichten der unverkennbare „Geschmack“ seiner Sprache, die spöttisch-ironisch ist, mit einem Zwinkern in den Augenwinkeln, leger im Ton, von einer manchmal fast asiatisch anmutenden Schlichtheit und Poesie durchzogen – nicht umsonst wohl ist für Piotr Sommer neben Frank O’Hara der chinesische Lyriker des 8. Jahrhunderts Wang Wei eine wichtige Bezugsgröße –, changierend zwischen einer kaum wahrnehmbaren untergründigen Beunruhigung und einem hellen Leuchten.

„Ich glaube, dass Poesie im Prinzip aus Klängen entsteht. Nebeneinander und etwas weiter voneinander entfernt stehende Wörter klingen und ergeben eine auf unterschiedlichste Weise intonierte Musik, die sich nicht in von der Syntax vorgegebenen Einheiten unterbringen lässt. Eine Sprachmelodie ist immer irgendwie reicher als die Satzmuster, worin die Sprache eine Melodie einschließen möchte. Manchmal, wenn man den Beginn so einer Melodie hört, ordnen sich die Satz-Schablonen plötzlich unter, sie fügen sich der Melodie und auch der Hörende fügt sich ihr – als ob er die Syntax und seine Pflichten ihr gegenüber vergessen würde. Und indem er die Syntax vergisst, ermutigt er sie, macht sie flexibler, beweist ihr, dass mehr in sie hineinpasst, als sie sich vielleicht selbst zugetraut hat. (…) Denn Poesie, das ist Musik zur Bedeutung und zu den Dingen.“ (Piotr Sommer zur Frage „Was verstehen Sie unter Poesie …?“)

Veröffentlichungen in deutscher Übersetzung|
Ein freier Tag im April. Gedichte. Aus dem Polnischen von Doreen Daume. Mit einer Miszelle von Michael Krüger. Edition Korrespondenzen, Wien|2002

  • Im Dunkeln auch
    Piotr Sommer

    2010, Buch (Spurensicherung Bd. 21)

    Gedichte, zweisprachig.

    Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall.

    Mit einem Nachwort von Jakub Ekier (aus dem Polnischem von Berhard Hartmann).

    Bestellung: info@matthes-seitz-berlin.de

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