Albanien, Literatur, 2007

Ornela
Vorpsi

Ornela Vorpsi, 1968 in Tirana geboren, verließ ihre Heimat mit 22 Jahren, lebte sechs Jahre in Mailand und zog 1997 nach Paris. Die Prosaautorin, bildende Künstlerin, Fotografin und Videokünstlerin studierte an den Hochschulen der Künste von Tirana, Mailand und Paris. Beteiligung an Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, zuletzt „The Balkans crossroad the future“ (2004, Bologna), „Blood & Honey“ (2003, Wien), „Politique d’intérieur“ (2002, Paris). 2001 erschien „Nothing obvious“, ein Band mit ihren Fotoarbeiten (Scalo Verlag, Zürich). Es folgten ihre beiden auf italienisch verfassten, doch zuerst in Frankreich erschienenen Bücher „Le pays où l’on ne meurt jamais“ (Das Land, in dem man nie stirbt, Actes Sud, 2004, übersetzt in mehr als zehn Sprachen, auf deutsch wird es bei Zsolnay erscheinen) sowie „Buvez du cacao Van Houten“ (Trinkt Van-Houten-Kakao, Actes Sud, 2005).

„Das Land, in dem man nie stirbt“ ist ein ironisches, melancholisches Buch über eine Kindheit im Albanien des roten Diktators Enver Hoxha, den Alltag in einem der schrecklichsten Regime des früheren Ostblocks und eine Parabel über die Gefahrenpotentiale von rückständigen Gesellschaften – ein Buch über ein Land, in dem Gleichheit nichts anderes heißt als Armut für alle und Umerziehungslager für diejenigen bedeutet, die sich nicht damit begnügen wollen, mit einer Hauptstadt, die wie ein Vampir die ohnehin schon völlig ausgebluteten Provinzen Albaniens immer weiter schröpft, mit Dörflern, die vom Leben in der Stadt träumen, und Städtern, die als politische Häftlinge aufs Land geschafft werden, mit Menschen, die sich in ihren windschiefen Hütten an Stromkabeln aufhängen, weil ihre Vorratskammern gähnend leer sind und ein Ende der Mangelwirtschaft noch immer nicht in Sicht ist; ein Buch über ein von der Außenwelt isoliertes Land, in dem Hass und Missgunst herrschen und die Menschen nach der Devise leben: „Lebe, auf dass ich dich hasse, stirb, auf dass ich dir hinterherweine.“ Besonders schwierig wird es im kommunistischen Albanien, wenn man auch noch weiblichen Geschlechts ist. Denn die patriarchalischen Strukturen, der Machismo und die überkommene Prüderie sind hier so tief verwurzelt, dass jede Frau dem Generalverdacht unterliegt, eine Nutte zu sein – auch wenn offiziell die Geschlechter gleichberechtigt und die Frauen emanzipiert sind. Und noch viel schwieriger wird es, wenn man als Tochter eines politischen Gefangenen aufwächst und obendrein mit Schönheit gesegnet ist. Ornela Vorpsi, deren Vater grundlos inhaftiert wurde, als sie sieben Jahre alt war, und die sich von klein auf anhören musste, dass sie „schon bald ein Flittchen“ sein würde, erzählt von den Traumata einer albanischen Kindheit. Wie tief die Blessuren reichen, zeigt die Tatsache, dass Ornela Vorpsi erst ihr Heimatland hinter sich lassen, ein Meer zwischen sich und Albanien wissen und eine neue Sprache erlernen musste, um darüber schreiben zu können.

2005 erschien Ornela Vorpsis zweites Buch, der Erzählband „Trinkt Van-Houten-Kakao“, der auf einigen Zeilen aus Vladimir Majakovskijs Gedicht „Wolke in Hosen“ beruht, die sie als Kind las und die ihr seitdem nicht mehr aus dem Kopf gingen: die Geschichte, dass im Jahre 1910 in Russland die Schokoladenfabrikanten von Van Houten einem zum Tode Verurteilten – und damit seinen Hinterbliebenen – eine große Summe Geldes anboten, wenn er unmittelbar vor seiner Hinrichtung laut „Trinkt Van-Houten-Kakao“ in die Menge rufen würde, und dieser in den Handel einschlug. „Trinkt Van-Houten-Kakao“ ist ein Buch über die Fähigkeit des Menschen, sich um jeden Preis und bis zu seinem letzten Atemzug zu verkaufen – 1910 auf dem Schafott und heute in den Reality-TV-Shows – und das Buch einer großen Enttäuschung, weil sich der Westen mit seinen christlichen und aufklärerischen Werten nach der Flucht aus Albanien nicht als das ersehnte Paradies entpuppt hat, sondern als ein gigantischer Supermarkt, in dem jeder seine Haut zu Markte trägt.

Bereits 2001 erschien als erste Publikation von Ornela Vorpsi der Fotoband „Nothing obvious“, in dem sie Weiblichkeit als etwas Unsicheres, Beschädigtes, Fragmentarisches zeigt. Intime Momentaufnahmen und Details des weiblichen Körpers, fließend und unscharf. Ein weißer Frauenkörper vor rotem Hintergrund, Hände, die eine Tasse halten, mit knallrot angemalten Fingernägeln, eine Frauensilhouette vor einem zerwühlten Bett. Immer wieder Rot. Und die Suche nach dem, was das Leben als Frau ausmacht, weibliches Sein.

Veröffentlichungen in deutscher Übersetzung|
Nothing obvious. Scalo, Zürich|2001|
Das Land, in dem man nie stirbt. Zsolny, Wien|in Vorbereitung

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