Simbabwe, Bildende Künste, 2021

Nontsikelelo
Mutiti

Nontsikelelo Mutiti, Waiting Room Magazine, 2014. Photo courtesy of the artist.

Nontsikelelo Mutitis künstlerische Praxis beschäftigt sich damit, Formen von Wissensproduktion zu erweitern. Sie verfolgt einen konzeptionellen Ansatz, der sich auf experimentelle Praktiken des Publizierens, Archivierens, Kollaborieren sowie von Kunst im öffentlichen Raum stützt, um Werke und Projekte zu schaffen, die sich mit vernakulärem Wissen auseinandersetzen und akzeptierte Hierarchien der Wissensproduktion in den Bereichen Kunst und Design in Frage stellen. Mutitis interdisziplinäre Kunstpraxis lässt sich vielleicht am besten an der unerwarteten Poesie eines auf dem Bürgersteig verlorenen, zuvor mit Kunsthaar eingeflochtenen Zopfes veranschaulichen. Als vermeintlich einfaches und alltägliches Objekt eröffnet der verlorene Zopf eine Reihe von Konzepten innerhalb kultureller und mathematischer Epistemologien: Fragen zu seiner Entstehungsgeschichte, zur Komplexität seines Flechtmusters, zur kreativen und prozessbasierten Arbeit, die in seine Entstehung investiert wurde, und zu seiner modularen, sich wiederholenden und regelbasierten grafischen Ästhetik, deren Zentrum die Mathematik ist.

Ihr laufendes, mehrjähriges Forschungsprojekt mit dem Titel Ruka (stricken, flechten, weben) widmet sich den Haarflechtsalons der afrikanischen Diaspora. Sowohl durch deren Geselligkeit als auch durch die Flechttechniken, die Mutiti als einen Prozess ansieht, der der Herstellung von Sprache oder den Algorithmen der Codierung ähnelt, werden die Salons als gemeinschaftlicher Ort der Wissensproduktion betrachtet. Das Projekt zielt darauf ab, neue Wege für das Nachdenken über Schwarze Geschichte und Epistemologien zu eröffnen. Die daraus resultierenden Arbeiten umfassen digitale Medien, Drucke, Publikationen, Fotografien, Kunstwerke und Fundstücke, die unter anderem im Metropolitan Museum of Art, dem Studio Museum in Harlem, dem Laundromat Project, RECESS, Printed Matter (alle in den USA) und dem Bubblegum Club (in Südafrika) gezeigt wurden, sowie zuletzt ein großformatiges Wandbild, das für STABLE in Washington, D.C. in Auftrag gegeben wurde.

Von diesem Engagement für die Würdigung und Aufwertung Schwarzer amerikanischer und afrikanischer Erzählungen und Historiografien sind Mutitis gemeinschaftliche Publikationsprojekte angetrieben, insbesondere die, die sie zusammen mit der verstorbenen Kuratorin Bisi Silva sowie mit der renommierten Künstlerin Simone Leigh herausgegeben oder für zahlreiche Kunstinstitutionen entwickelt hat. Während Mutiti die Bedeutung von Büchern als Format zur Wissensproduktion und zur Artikulation Schwarzer Episteme hervorhebt, sieht sie deren Potenzial als Mittel zur Kontrolle und Entmachtung auch kritisch. Insbesondere im Hinblick auf ihr Herkunftsland Simbabwe, betont sie die Gefahren, die die Erzeugung von Wissenshierarchien durch die Nutzung von Büchern darstellt. Die 1982, zwei Jahre nach der Unabhängigkeit von der Kolonialherrschaft, geborene Mutiti beschäftigt sich damit, wie Bücher und Archive dazu benutzt wurden, ihre LeserInnen zu programmieren, indem sie lokale Epistemologien auslöschten und ausgewählte Formen des Wissens bevorzugen. Aus diesem intellektuellen Interesse heraus gründete sie mit dem simbabwischen Wissenschaftler Tinashe Mushakavanhu Black Chalk & Co., eine Plattform für Archivierungs- und Publikationspraktiken, die die kulturelle und intellektuelle Produktion Simbabwes zu zentralisieren versucht. Neben einem umfangreichen Online-Archiv mit dem Titel „Reading Zimbabwe“ hat Black Chalk & Co. das Zine Home Means Nothing to Me in Zusammenarbeit mit der Keleketla! Library (Südafrika), und Some Writers Can Give You Two Heartbeats, ein Buch mit Auszügen aus Interviews mit 150 simbabwischen Intellektuellen, herausgegeben.

Diese Schwerpunkte haben sich im Laufe von Nontsikelelo Mutitis Studienjahren am Zimbabwe Institute of Digital Arts und an der Yale School of Art entwickelt, wo sie ihren MFA in Grafikdesign erwarb, sowie durch ihre Arbeit als Dozentin, in der sie ihre StudentInnen sowie sich selbst dazu anspornt, den eurozentrischen Designkanon zu hinterfragen und alternative Sprachen der visuellen Bedeutungsfindung vorzuziehen. Ihre Praxis konzentriert sich auf das Gestalten einer öffentlichen Sphäre, in der Menschen miteinander in Kontakt treten können. Dieses Ziel verfolgt sie mit ihren Kunstwerken und Vorträgen, aber auch als Mitbegründerin von Einrichtungen wie dem Zimbabwe Cultural Center in Detroit (USA). All diese Kunst-, Archivierungs- und Kooperationsprojekte wurden von Institutionen wie der Joan Mitchell Foundation, der Open Society Foundation, dem Smithsonian Arts Research Fellowship und der Knight Foundation unterstützt, um nur einige zu nennen.

Bei der Betrachtung der sorgfältigen historischen und intellektuellen Arbeit, die Mutiti durch den Vektor von visueller Kunst und Design leistet, muss man zum Bild des abgefallenen Zopfes zurückkehren, der über den Betongehweg weht, und sich daran erinnern, dass in diesem einzigen Zopf eine Fülle an Informationen steckt. Wie Mutiti bemerkte: „Ich denke über das Modul nach. Ich denke darüber nach, worauf etwas reduziert werden kann und trotzdem stark bleibt, und was wir dann mit diesem Modul machen, wenn wir es wiederholen. Ich glaube, dass es in unserem Leben Muster gibt – die Kultur ist ein Muster, eine Reihe von Regeln, und auch das ist etwas, das mich anzieht. Meine Arbeit mit Mustern lehrt mich, darüber nachzudenken, was Struktur bewirken kann.“

Text: Nomaduma Rosa Masilela
Übersetzung: Anna Jäger

Vergangen

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