Palästinensische Gebiete, Musik & Klang, 2023, in Berlin

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Muqata'a

Foto: Jasper Kettner

Schlingernde Rhythmen, unterbrochen von digitalen, perkussiven Fragmenten, heben sich ab von kratzigen Samples arabischer Symphonien. Die Stimme eines singenden Mannes wird digital zu einem anhaltenden Ton gedehnt, bis sie schließlich beinah zur Melodie wird und der Track abrupt endet. Ein altes palästinensisches Lied, das von einem Kassettenband zu kommen scheint, zerfällt in kurze Loops und verteilt sich über langsame, unterbrochene Rhythmen mit weit wogenden Bassklängen, die von tiefen zu noch tieferen Frequenzen treiben.

Im Alter von gerade elf Jahren fand Muqata’a heraus, dass er zuhause in Ramallah, Palästina, Musik mit dem Computer der Familie machen konnte. Er lernte bereits Gitarre und Oud, aber der Computer bot ihm weitere Möglichkeiten. Er entdeckte das Internet für sich – er lud Musik hoch und teilte Tracks, stöberte durch Musikblogs und schloss sich der Onlinecommunity an. Muqata’as Offlineleben während seiner Jugend in Palästina war jedoch von Schwierigkeiten geprägt, die seine internationalen KollegInnen im Internet nicht kannten. In den frühen 2000er Jahren unterlag die von Israel besetzte West Bank strengen Ausgangssperren. Während er mit seiner Familie, oftmals mehrere Tage lang, zuhause eingesperrt war, wurde Musik, insbesondere Hip-Hop, zum Werkzeug, mit dem Muqata’a über diese Realität nachdenken, sich mit anderen Betroffenen austauschen und der Außenwelt mitteilen konnte, was vor sich ging.

Als er mit 17 Jahren seinen ersten Bühnenauftritt hatte, existierte die Hip-Hop-Szene in der West Bank noch nicht. Jahrelange kulturelle Unterdrückung hatte dazu geführt, dass es keine angemessenen Orte für Musik gab und nur wenige bereit waren, Veranstaltungen zu organisieren. Also stellten er und seine FreundInnen selbst etwas auf die Beine. Seine erste Rap-Gruppe, Ramallah Underground, verlieh der palästinensischen Realität Ausdruck und läutete eine neue Ära des palästinensischen Hip-Hop ein. Bevor sie sich 2009 auflösten, erfuhren sie internationale Aufmerksamkeit und arbeiteten mit dem renommierten Kronos Quartett. Trotz ihres Erfolges waren ständige Anpassung und Flexibilität unabdingbar, da Veranstaltungen ohne Vorwarnung abgebrochen werden konnten. Muqata’a gewöhnte sich deshalb an, mit leichtem, tragbarem Musikequipment zu arbeiten, für den Fall, dass er plötzlich zusammenpacken und verschwinden muss – eine Angewohnheit, die er bis heute beibehält.

In den letzten Jahren hat sich Muqata’a verstärkt auf das Produzieren von Musik konzentriert. Kürzlich veröffentliche er sein fünftes Soloalbum Kamil Manqus كَامِل مَنْقوص. Die Tracks von Muqata’a zeichnen sich durch lebendige, unverwechselbare Samples aus, die von Schallplatten und Tonbändern mit traditioneller palästinensischer Musik und Aufnahmen des täglichen Lebens in Ramallah stammen. Aufgrund der jahrelangen kulturellen Unterdrückung lassen sich heute in Palästina nur äußerst selten Schallplatten und Tonbänder mit traditioneller palästinensischer Musik finden. Für Muqata’a ist die Einbindung dieser Klänge ein Weg, dieses Kulturgut lebendig zu halten, die Vergangenheit zu bewahren, sie dabei auch wiederzubeleben und darauf zu bestehen, dass diese Klänge und Traditionen in den Ohren heutiger und künftiger Generationen weiterklingen.

Seit er durch das DAAD-Stipendium in Berlin angekommen ist, verfügt er über Zeit und ein Gefühl der Stabilität, das sein Leben zu Hause nicht zulässt. Auf die Frage, ob er sich seiner Gemeinschaft fern fühlt, antwortet er: „Ich fühle mich ihnen näher als je zuvor. Früher war ich so sehr auf meine eigenen Produktionen konzentriert, weil ich nur dafür Zeit hatte. Jetzt kann ich endlich mit all diesen KünstlerInnen in der Heimat zusammenarbeiten. Ich spreche die ganze Zeit mit ihnen.“

Text: Reece Cox
Übersetzung: Anna Jäger

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