Belgien, Bildende Kunst, 1974

Marcel
Broodthaers

Marcel Broodthaers (geb. 1924 in Brüssel, gest. 1976 in Köln) war 1974 Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD (BKP) – gut ein Jahr vor seinem Tod im Januar 1976. Broodthaers lernte als junger Autor und Poet Ende des Zweiten Weltkriegs René Magritte kennen und fand Anschluss an die Gruppe der belgischen Surrealisten. 1945 veröffentlichte er erste Gedichte in der Tradition von Symbolismus und Surrealismus, zwei Jahre später unterzeichnete er das von SurrealistInnen verfasste Manifest Pas de quartiers dans la révolution. 1957 entstand sein erster Film, La Clef de l’Horloge – „ein kinematografisches Gedicht zu Ehren Kurt Schwitters“. 1964 bettete er seinen letzten Gedichtband Pense-Bête in Gips, stellte ihn als Skulptur aus und vollzog damit seinen Einstieg in die bildende Kunst. Er begann, Objekte aus Muscheln und Eierschalen zu fertigen und auszustellen. Als Infragestellung der gesellschaftlichen Rolle des Museums gründete er 1968 in seiner Brüsseler Wohnung das „Musée d’Art Moderne, Département des Aigles“, das mit der Section XIXe siècle eröffnete. Unterschiedliche Sektionen dieses imaginären Museums, dessen Direktor er war, wurden als komplexe Installationen in verschiedenen Kontexten präsentiert: 1972 eröffnete in der Kunsthalle Düsseldorf die Section des Figures, bestehend aus Adlerwappen und anderen mit Adlermotiven versehenen Gegenständen, die der Künstler in Museumsbeständen, Antiquariaten und auf Flohmärkten zusammengetragen hatte; im selben Jahr schließt er das Museum auf der documenta 5 mit drei letzten Abteilungen, unter anderem mit der Section Publicité. Als Künstler, der von seiner gesellschaftlichen Verpflichtung überzeugt war, und Vertreter einer Kunst, die nicht autonom um sich selbst kreist, sondern ihre institutionellen und ökonomischen Bezüge reflektiert, ging es ihm um nichts weniger als die Verwirklichung einer konkreten Utopie. Nachdem am 10. November 1974 Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann von Terroristen in seinem Haus erschossen wurde, nahm Broodthaers seinen Status als Gast des BKP zum Anlass einer politischen Stellungnahme und protestierte in einem offenen Brief an den Berliner Senat gegen erwogene Maßnahmen, „die Rechte der Verteidigung von (politischen) Gefangenen zu beschneiden und zu kontrollieren“.

Zwischen 1974 und 1975 entstanden die Räume Un Jardin d’Hiver II, L’Entrée de l’Exposition, Décor, A Conquest by Marcel Broodthaers und Salle Blanche – Broodthaers’ eigene Formen der Retrospektive. Die Galerie René Block zeigte 1974 die von Block herausgegebene Edition Das Manuskript in der Flasche. Bereits schwer krank arbeitete Broodthaers 1975 an seiner Einzelausstellung in der Neuen Nationalgalerie. Ein Nachruf zu seinem Tod von Karl Ruhrberg, Direktor des BKP, erschien im Januar 1976 im Magazin Kunst. Sein 1974/75 in Berlin entstandener 20minütiger Film Berlin oder ein Traum mit Sahne, „eine Synthese der Stadtund ihrer Isolation“, in dem neben ihm selbst auch seine Tochter Marie Puck auftritt,wurde posthum 1976 auf den ersten Filmtagen des BKP in der Akademie der Künste in Westberlin erstmals gezeigt (da der Künstler kurz vor seinem Tod noch Änderungswünsche notiert hatte, wurden weitere Aufführungen durch seine Witwe zunächst erschwert). 1989 veröffentlichte das BKP in Zusammenarbeit mit dem Rainer Verlag Le Cadran S(c)olaire, Edition des Amateurs – das Faksimile eines Buchentwurfs von 1974.

Broodthaers war Teilnehmer der documenta 5, 6, 7 und 10 (1972, 1977, 1982, 1997). Retrospektiven fanden unter anderem im Fridericianum Kassel (2015), im Museum of Modern Art, New York, im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid (2016), und im K21 Düsseldorf (2017) statt.

Text: Eva Scharrer

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