Japan, Musik, 1966

Makoto
Shinohara

Bevor Makoto Shinohara (geb. 1931 in Osaka) sein Stipendium beim Berliner Künstlerprogramm des DAAD (BKP) im Dezember 1966 in Berlin antrat, hatte er bereits andere europäische Stationen im Rahmen seiner Ausbildung zum Komponisten durchlaufen. Nach anfänglichen Studienjahren in Tokio schrieb er sich bei Olivier Messiaen am Conservatoire in Paris ein, um sich danach in Köln unter anderem bei Gottfried Michael Koenig und bei Karlheinz Stockhausen weiterzubilden, dessen Assistent er zwischen 1964 und 1966 war. Das durch Stockhausen vermittelte Interesse an elektronischer Musik vertiefte Shinohara durch die Arbeit im Siemens-Studio in München und im ab 1964 von Koenig geleiteten Institut für Sonologie im niederländischen Utrecht, wo Shinohara sich im Rahmen eines Forschungsauftrags vor Antritt seines Berlin-Stipendiums aufhielt. In Utrecht entstand Shinoharas elektronische Vierkanal-Komposition Visions I, die ausschließlich aus Sinustönen besteht, sowie das Stück Mémoires, in dem von Tongeneratoren erzeugtes synthetisches Klangmaterial mit elektronisch bearbeiteten Stimmklängen kombiniert ist.

Wie seine japanischen Komponisten-Kollegen Toshi Ichiyanagi, Jōji Yuasa, Makii Ishii und andere interessierte sich auch Makoto Shinohara für das Instrumentarium und die Ästhetik der traditionellen Musik seines Heimatlandes, die in der Regel in einem zeremoniellen beziehungsweise kultischen Zusammenhang angesiedelt ist. Seit den frühen 1970er Jahren entstanden Kammermusikwerke, die für japanische Instrumente wie Koto, Shakuhachi, Shamisen komponiert wurden. Zudem arbeitete Shinohara an einer Fusion des westlichen und des japanischen Instrumentariums beziehungsweise den damit verbundenen ästhetischen Haltungen.

Gegen Ende seiner Berliner Zeit, in der er an der Komposition Fragmente für Tenorblockflöte arbeitete, beschloss Makoto Shinohara, sich zeitweise in der Stadt anzusiedeln. Am 9. Oktober 1968, drei Monate nach Ablauf seines verlängerten Stipendiums, wurde im Rahmen der zweiten Berliner „Internationalen Woche für experimentelle Musik“ im Audimax der Technischen Universität (TU) Shinoharas im dortigen elektronischen Studio produziertes, ausschließlich auf Stimm- und Körperklängen basierendes Tonband/Perfomancestück Personnage uraufgeführt. An den Produktionskosten des Stückes hatte sich das BKP beteiligt.

In Erinnerung blieb darüber hinaus Shinoharas Auftritt im Rahmen des ersten, vom BKP geförderten Metamusik-Festivals, für das der Rundfunkredakteur Walter Bachauer ein spartenübergreifendes Programm zusammengestellt hatte, das sowohl die postserielle Avantgarde aus Europa und den USA als auch die elektronische Rockmusik der „Berliner Schule“ und sogenannte Weltmusik aus Asien, Afrika und dem Orient präsentierte. Shinohara trat am 6. Oktober 1974 innerhalb eines Konzertprogramms in Erscheinung, das sowohl traditionelle zeremonielle Shakuhachi-Musik als auch zeitgenössische Kompositionen vorstellte – notiert für die japanische Bambusflöte und für die Koto, eine 13-saitige, sogenannte Wölbbrettzither, die in der höfischen Gagaku-Musik zum Einsatz kommt. Shinohara interpretierte persönlich sein Koto-Stück Tayutai, in dem er die klangliche Identität des traditionellen Instruments mit erweiterten Spieltechniken sowie mit punktuellen stimmlichen Äußerungen anreicherte und ergänzte. Eine weitere seiner Kompositionen, die im Konzert zu Gehör kam, war das Shakuhachi-Solostück Kyūdō A von 1973, das ähnlich wie Tayutai die Klangmöglichkeiten des Instruments durch die im Kontext der westlichen Avantgarde entwickelten Spieltechniken sowie durch szenische Elemente erweitert. Der Interpret Tatsuya Sano führte unter anderem Lautäußerungen, spezifische Bewegungsmuster und Fußstampfen vor.

Text: Thomas Groetz

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