Belgien, Bildende Kunst, 2015

Edith
Dekyndt

Edith Dekyndt: »untitled« 2004 Palladium & Copper Blanket, 300x45cm Courtesy: the artist and galerie Greta Meert, Brüssel

Man könnte sagen, dass in den Arbeiten Edith Dekyndts nicht viel geschieht. Doch trotz der Schlichtheit der von ihr gewählten Methoden, die sich mit häufig übersehenen und ephemeren Phänomenen befassen, überwiegt ein Moment der Überraschung. Denn in ihren Arbeiten werden auf verblüffend greifbare Weise unsichtbare und latente Kräfte mit instabilen Materialien in Verbindung gesetzt. In ihrem Video »provisory object 03« etwa rahmen zwei Hände eine sich schnell verschiebende, schillernde Fläche ein. Aus heutiger sicht könnte man annehmen, dass diese faszinierenden Farbeffekte das Ergebnis digitaler Bearbeitung sind. Aber Dekyndt bedient sich keiner Nachbereitungstechniken, das Video zeigt lediglich eine gefilmte Seifenblase.


Diesen und anderen Arbeiten Dekyndts gehen natürlich viele gescheiterte Versuche voraus. Sie basieren gleichermaßen auf leidenschaftlicher Beobachtung wie auf einfachen experimentellen Verfahren. Das ist ein wichtiges Moment, denn obwohl Dekyndts Arbeiten häufig den Eindruck erwecken, dass in ihnen alternative Welten zum Vorschein gebracht werden, ist das keineswegs der Fall. Vielmehr werden schon bestehende Prozesse und Bedingungen neu gefasst; es geht ihr eher um das Erforschen als um Illusion oder Flucht. Obwohl es in ihren Arbeiten scheint, als würde die Zeit langsamer werden und materielle Eigenschaften annehmen, während der Raum sich nach Belieben auszuweiten und zusammenzuziehen scheint, gelingt es ihr gerade durch die Erforschung alltäglicher Prozesse einen Sinn für das Fantastische innerhalb dieser Phänomene zu wecken. In »discreet piece« erleuchtet eine einzelne Lampe in einem dunklen Raum die allgegenwärtigen Staubpartikel, die in Echtzeit abgefilmt im selben Raum projiziert werden. Das Ergebnis ist eine traumartige, sternengleiche Projektion, die den Betrachter in eine überraschende epistemologische Auseinandersetzung verwickelt.
Indem Dekyndt sich auf die Skulpturalen und malerischen Qualitäten des Alltäglichen konzentriert und dafür zeitbasierte Prozesse in Gang setzt, die Veränderung und Zerfall auslösen, führt sie traditionelle formale Anliegen künstlerischer Autonomie »auf den Boden der Tatsachen zurück«. Die Konsequenzen sind erheblich — Wissen, Wahrnehmung und Realität werden in Frage gestellt sowie Faszination und Empathie der Betrachter eingebunden, welche die »objektive« Analyse ablösen. Ihr minimaler Stil isoliert Materialien beim Durchlaufen chemischer und physikalischer Transformationsprozesse — der Vergleich mit wissenschaftlichen Verfahren liegt nahe. Und doch ist ihre Absicht durch und durch »subjektiv«, denn Dekyndt ist weniger an Ergebnissen als an mysteriösen Begebenheiten interessiert. Vielmehr werden in ihrer Arbeit Dinge auf eine Art lebendig, die das typische Subjekt-Objekt Verhältnis durchbricht. Und während so die ersten Ordnungen des Seins in Frage gestellt werden, wird in Arbeiten wie »Myodesopsies (before life)« auch die Wahrnehmung selbst problematisiert. Hier geht es um die Untersuchung des Phänomens winziger Staubpartikel, die in die Augen geraten und so die Wahrnehmung einer vollkommen weißen Fläche ver-unmöglichen. In der Fotoserie »living« sind leere Hotelzimmer aus der unheimlichen Perspektive des Allgegenwärtigen Fernsehapparats zu sehen. Indem sowohl empirische Unzulänglichkeiten als auch materielle Anomalitäten in der Alltäglichkeit von Dingen untersucht werden, entwirft Dekyndt eine Subjektivität im »universellen« Sinn und legt damit ein alchemistisches und instabiles Verständnis des Bewusstseins nahe, das ständigen Verschiebungen und Veränderungen unterliegt.


Text: Rodney Latourelle
Kamera/Schnitt: Uli Aumüller, Sebastian Rausch

Vergangen

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