Marokko, Film, 2016

Ali
Essafi

Ali Essafi ist ein genauer, aber auch empathischer Chronist seines Landes: Er zählt zu den bedeutendsten Dokumentarfilmern und Videokünstlern Marokkos. Seine Filme wurden vielfach ausgezeichnet und waren unter anderem am MoMa zu sehen. Archivmaterial bildet oft die Basis für Ali Essafis Schaffen. In einem Land, in dem öffentlich zugängliche Archive praktisch nicht existieren, ist seine Leistung dabei sowohl in ihrer künstlerischen als auch kulturhistorischen und politischen Bedeutung nicht zu unterschätzen.


Ali Essafi wurde 1963 in Fez geboren. Er studierte Psychologie in Frankreich. Seine Filme sind regelmäßig zu Gast bei Dokumentarfilmfestivals von Montréal bis Milano. Sein Regiedebüt „Général, nous voilà!“ (1997) gewann den Spezialpreis der Jury beim Namur Filmfestival und „Ouarzazate“ (2001) den Preis für den besten Dokumentarfilm des Mittelmeerraums beim Filmfestival in Syrakus. Im Jahr 2002 kehrte Ali Essafi nach Marokko zurück und arbeitete drei Jahre lang als Berater des öffentlichen Fernsehens. Inzwischen lebt er in Marokko und Brasilien.
Durch seine Arbeitsweise und insbesondere durch sein aktuelles Filmprojekt „Nos sombres années 70“ und den diesem zugrunde liegenden filmischen Essay „Fuite!“ (2011) ist Ali Essafi eng mit einer Schlüsselfigur des marokkanischen Kinos verbunden: Ahmed Bouanani (1938-2011) verwendete als erste Marokkaner Archivmaterial in seinen Filmen, zahlte aber einen hohen Preis dafür. Seine Filme wurden zensiert, er verarmte und erhält erst jetzt die verdiente Aufmerksamkeit.
So wie Bouanani sei er überzeugt von der Verbindung zwischen Erinnerung und Schöpfung, erklärte Ali Essafi im Interview mit dem MoHO (Modern Heritage Observatory). Auch als Dozent versucht er in seinem Heimatland zu verhindern, dass selbst die Erinnerungen der Elterngeneration bereits in Vergessenheit geraten. Durch die Nichtexistenz staatlicher Archive „schwindet von einer Generation zur nächsten das Gedächtnis und gleichzeitig die Kreativität“. In den 70ern waren, abgesehen von der Zensur, „selbst private Aufnahmen nicht üblich! (…) Noch schlimmer: Die Studenten und Jugendlichen zerstörten die Bilder, um der Polizei kein Material gegen sich zu liefern.“ Dieser repressiven Atmosphäre spürte Ali Essafi zunächst in seinem filmischen Essay „Fuite!“ (2011) nach: Der Student Aziz lebt zwei Jahre unter falschem Namen, bevor er verhaftet wird. Basierend auf diesem Film arbeitet der Regisseur nun an der Langversion „Nos sombres années 70“. Auch sein nächstes Projekt widmet Ali Essafi seinem cineastischen Mentor Ahmed Bouanani. In den drei letzten Lebensjahren Bouananis gewährte dieser Ali Essafi Einblick in sein Leben und Wirken.
Dem, was Marokko in der Vergangenheit und Gegenwart ausmacht, spürt Ali Essafi anhand vielfältiger Sujets nach: In „Ouarzazate“ (2001) etwa richtet Ali Essafi seine Kamera auf das gleichnamige marokkanische Dorf, in dem viele große Hollywood-Produktionen wie „Gladiator“ oder auch „Asterix und Obelix“ gedreht wurden. Vom Casting bis in die Garderobe folgt der Film den marokkanischen Statisten, die den fertigen Film nie sehen werden. Der Film entlarvt auf komische Art und Weise den Gegensatz zwischen der Magie auf der Leinwand und der Realität während des Drehs.
In „Le Blues des Shikhates“ (erster Preis beim Festival de Cinéma Sud, 2004) widmet sich Ali Essafi drei traditionellen Sängerinnen mit Wurzeln im Volk der Berber. Für ihren Gesang werden sie geliebt, andererseits gehören sie zu den größten Außenseitern der marokkanischen Gesellschaft.
Die Dokumentation „Général, nous voilà!“ (Jurypreis in Namur, Fonds d’Aide CNC, 1997) dagegen ist den marokkanischen Veteranen der französischen Armee gewidmet. 1960 verloren sie – mit der Unabhängigkeit des Landes – jegliche Pensionsansprüche. 1996 brach eine Gruppe dieser ehemaligen Soldaten auf, um in Bordeaux vor Gericht für ihre Rechte einzutreten. „Le Silence des champs de betteraves“ (Großer Preis beim Festival du Film de l’Environnement, 1998) und „Paris mois par mois“ (1999) realisierte Ali Essafi ebenso in Frankreich, doch inhaltlich verfolgt er auch in diesen Filmen marokkanische Themen.

Text: Maike Wetzel

2015 Nos sombres années 70 (Dokumentarfilm, in Produktion 75’)
2015 Le Cosmonaute (Dokumentarfilm – in Postproduktion, 80‘)
2011 Fuite! (Kurzfilm, 29’)
2004 Le Blues des Shikhates (Dokumentarfilm, 57‘)
2002 Al Jazira, les Arabes de 1424! (Dokumentarfilm, 6‘)
2001 Ouarzazate (Dokumentarfilm, 55‘)
1999 Paris mois par mois (Dokumentarfilm, 26‘)
1998 Le Silence des champs de betteraves (Dokumentarfilm, 54‘)
1997 Général, nous voilà! (Dokumentarfilm, 60‘)

Vergangen

zum Seitenanfang