USA, Musik, 1974

Steve
Reich

Steve Reichs dreimonatige Anwesenheit im Herbst 1974 in Berlin, für die sich insbesondere der Komponist György Ligeti stark gemacht hatte, leistete seiner internationalen Bekanntheit Vorschub, vor allem in Europa. Bereits Ende 1971 war Drumming, ein groß angelegtes Stück, in dem Reich seine Tonbandexperimente mit phasenverschobenen Reihungen von Kleinstmotiven auf ein Schlaginstrumentarium samt Flöte übertragen hatte, für den 1936 in New York geborenen Komponisten zu einem Achtungserfolg geworden, an den sich eine erste Europatournee im Jahr 1972 anschloss.

Ein wichtiges Event während Reichs Aufenthalt in Berlin, wo er zudem Vorträge an verschiedenen Hochschulen hielt, war ein ihm gewidmetes Porträtkonzert des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, das am 15. Oktober 1974 zwar im Rahmen des ersten Metamusik-Festivals, jedoch nicht in der Neuen Nationalgalerie, sondern als Sonderveranstaltung im Studio 10 des Radiosenders RIAS stattfand. Der Konzertveranstalter und Rundfunkredakteur Walter Bachauer präsentierte bei Metamusik übrigens nicht nur die amerikanische und europäische Avantgarde, sondern zugleich Tänze aus der Renaissance sowie traditionelle Musik aus dem Orient, aus Asien und Afrika.

Zu Beginn des Konzerts führte Clapping Music auf einfache, aber effektive Weise eine wichtige Grundkonzeption von Reichs Musik vor: die sukzessive Phasenverschiebung durch graduelle Tempoerhöhungen und Temposenkungen; zu erleben in einer Komposition, für die man in diesem Fall nicht einmal Instrumente, sondern lediglich zwei klatschende Ausführende benötigt.

Die Konzentration auf rhythmische und auf körperliche Aspekte der Musik hatte der ausgebildete Schlagzeuger im Sommer 1970 bereits im Rahmen eines Aufenthalts in Ghana erleben können, wo er bei dem Meister-Trommler Gideon Alorworye studiert hatte. Zudem beschäftigte er sich im Sommer 1974 (kurz vor Beginn seines Berliner Stipendiums) im Center for World Music in Berkeley, Kalifornien intensiv mit den perkussiven Pattern-Strukturen des balinesischen Gamelan, dessen Einflüsse in den beiden 1973 entstandenen Kompositionen spürbar werden, die am Ende seines Porträtkonzerts erklangen: das später ebenso für sechs Marimbas bearbeitete Stück Six Pianos und insbesondere seine Music for Mallet Instruments, Voices and Organ.

Beide Kompositionen waren auch auf einer Einzel-LP sowie zuvor auf einer drei LPs umfassenden Schallplattenbox zu finden, welche die Deutsche Grammophon im Januar 1974 in Hamburg produzieren ließ, also bereits vor Steve Reichs Berliner Stipendium beim Künstlerprogramm des DAAD. Die Initiative zu dieser für das Renommee des Komponisten wichtigen Veröffentlichung, die im Herbst desselben Jahres erschien, ging erneut auf den Metamusik-Festivalleiter und umtriebigen Kulturmanager Walter Bachauer zurück, der nicht nur am 3. Dezember 1971 in New York die Uraufführung von Drumming miterlebt hatte, sondern dieses Stück auch im Juli 1972 in der Berliner Akademie der Künste (West) im Rahmen einer von ihm kuratierten „Woche der avantgardistischen Musik Berlin“ präsentierte. Später lud Bachauer Steve Reich auch für die zweite Ausgabe seines Metamusik-Festivals ein. 1976 brachte der Komponist in Berlin seine Music for 18 Musicians als europäische Erstaufführung zu Gehör, die umjubelt aufgenommen wurde.

Text: Thomas Groetz

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