Türkei, Bildende Kunst, 2019

Burak
Delier

Foto: Krzysztof Zielinski

Burak Delier (1977 in Adapazarı, Türkei) setzt sich in seiner Arbeit mit dem Begriff der künstlerischen und persönlichen Freiheit auseinander. Freedom Has No Script war auch der Titel einer Einzelausstellung, die unter dem direkten Eindruck der Gezi Park Proteste, die im Sommer 2013 in Istanbul ausbrachen, entstand. Die Proteste, die sich gegen das zunehmend autoritäre Regime Erdogans und der damit verbundenen Umwandlung öffentlichen Stadtraums durch neoliberale Privatisierung richteten, folgten keinem politischen Skript sondern waren spontan und improvisiert.

Auch der Umgang mit der eigenen künstlerischen Produktion und der Schwierigkeit, sich mit dieser politisch wirksam zu positionieren, entspringt für Delier einem Gefühl von Unsicherheit, Spannung und Begehren. In Notes from my Mobile (2012) thematisiert er in Form kurzer tagebuchartiger Handyvideos seine künstlerischen Ängste – etwa die, nicht produktiv genug zu sein. Indem er die verhassten Strategien neoliberaler Medien und Konzerne nachahmt, stellt er den eigenen Status als Künstler immer wieder selbst in Frage. Wiederkehrende Figuren in den meist performativen Arbeiten sind Menschen, die in diesem System aus einer Perspektive „von unten herauf“ operieren. Für das Video Crisis & Control (2013) lässt er in den Gängen und Großraumbüros eines Firmengebäudes Personen im professionellen Office-Outfit Yogastellungen halten, während sie von ihren Träumen und Frustrationen in Karriereplanung und Arbeitsalltag erzählen. Es handelt sich dabei nicht um Schauspielerinnen, sondern um die realen Geschichten echter Büroangestellter*innen, die in ihrer Freizeit Yoga praktizieren. Das Paradox der spirituellen Meditationstechnik verbunden mit den auf Selbstoptimierung beruhenden Anforderungen des kapitalistischen Erfolgsmodells gerät in den stoisch gehaltenen Posen zu einem Zustand, den Delier als „Folter“ bezeichnet.

In der Performance Author as Swindler (2015) schlüpft Delier in die Figur des Betrügers „Sülün“ Osman, einer urbanen Legende des Istanbuls der 1950er-Jahre, der durch den Verkauf öffentlicher Monumente wie der Galata-Brücke und des Dolmabahçe-Glockenturms berühmt wurde. Interessant dabei ist, dass viele der Sülün zugeschriebenen Coups historisch eigentlich die eines anderen Trickbetrügers sind. Seine Legendenbildung bedient sich somit nicht nur der Aneignung und des Verkaufs materieller, sondern auch immaterieller Allgemeingüter – was von Delier als Spiegel neoliberaler Praxis weitergespielt wird. Dieses Interesse mündete in der recherchebasierten Installation Free Society of Fools and Crooks (2016), einer Kollektion der Geschichten von Trickbetrügerinnen („con artists“), die aus einer Notlage heraus ihr individuelles performatives Talent dazu nutzten, das System von innen heraus zu sabotieren, ohne einer korrupten Organisation. Wie Künstlerin und Publikum erschaffen auch Betrügerin und Betrogener zusammen eine eigene Welt, die für beide einen Moment lang real existiert.

Burak Deliers gesammelte Texte Scenarios of the Art World zu Kunst und Politik wurden 2016 von der Koç University Press, Istanbul, veröffentlicht. Er hatte Einzelausstellungen u. a. in der Pilot Gallery, Istanbul (2016, 2013, 2012) und Iniva, London (2014), und nahm an Gruppenausstellungen u. a. im Pera Museum, Istanbul (2018), MAXXI, Rom (2015), und Whitechapel Gallery, London (2014) teil, sowie an der 3. Mediterranean Biennale, Sakhnin, Israel, und Bucharest Biennale 7 (2016).

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