Kroatien, Literatur, 2016

Ivana
Sajko

Foto: Hassan Abdelghani

Ivana Sajko gilt als eine der führenden Stimmen und Erneuerinnen der südosteuropäischen Theaterszene, ist aber seit Langem auch auf internationalen Theaterfestivals ein ebenso unerlässlicher Gast. 1975 kommt sie in Zagreb zur Welt, studiert Dramaturgie an der dortigen Akademie für dramatische Künste und absolviert ein Masterstudium an der Philosophischen Fakultät der Universität Zagreb.

Fortan setzt sie sich in vielfacher Weise für die Entwicklung des zeitgenössischen Theaters ein, nicht zuletzt als Mitbegründerin des in Zagreb ansässigen Performance-Kollektivs BadCompany, für das sie 2000-2005 als Dramaturgin und Regisseurin tätig ist. 2005 entscheidet sich Ivana Sajko, nur noch ihre eigenen, vielfach preisgekrönten Dramen aufzuführen. Seither erkundet sie in hybriden Inszenierungen das Verhältnis von Dramentext und szenischer Umsetzung: Was sind – so Sajkos Überlegungen – die Möglichkeiten der Kunst, um eine adäquate, zeitgenössische Ästhetik des Widerstands zu entwickeln, die in den Raum der Wirklichkeit ausgreift, in den Körper der Realität: in den Körper von jedem Einzelnen. Sprich: Wie kann man die Membran durchstoßen, die das Theater umgibt, sodass aus dem konventionellen Akt des Sprechens ein individueller Akt des Agierens wird, der den anderen angeht, ihn körperlich und persönlich betrifft? Was heißt es, in solch einem Theater Ich zu sagen, Position zu beziehen? Was, die vorgeschrieben, oft festgelegten Rollen zu verlassen und sich auf eine wirkliche, also ergebnisoffene Interaktion einzulassen? Die Frage nach der Repräsentation im Theater beantwortet Ivana Sajko dabei mithilfe des Textes selbst, indem sie nicht zuletzt die Grenzen der Sprache zu deren Gegenstand macht. Ihre Theaterstücke widersetzen sich somit im Akt der Aufführung just der Praxis, der sie unterliegen. Seit 2001 führt übrigens der in Deutschland ansässige Verlag der Autoren weltweit die Bühnenrechte an den Texten Ivana Sajkos. 2008 erschienen dort drei ihrer Stücke in deutscher Übersetzung. Kennzeichnend für alle drei Monologe, in denen Ivana Sajko aus einer bewusst weiblichen Perspektive heraus die Beziehung zwischen Politik und Ästhetik befragt, ist die Überlagerung von Zeiten und Räumen. In „Archetyp: Medea“ tritt Medea vor dem Hintergrund politischer Vorgänge der Gegenwart auf. „Bombenfrau“ mischt die letzten Gedanken einer Selbstmordattentäterin mit Faktenmaterial, überschreitet somit Genregrenzen und stellt zugleich die – nun wieder neu entflammte – Frage nach der individuellen Verantwortung angesichts der aufgeladenen Geschichte Europas. Auch „Europa“ ist von mythischem Stoff inspiriert: Unter Rückbezug auf die antike Figur der Europa, die einst auf dem Rücken eines Stiers jenen Kontinent betrat, dem sie ihren Namen leihen sollte, übt die Autorin provokant Kritik am modernen Staatenbund, der nunmehr seine eigenen Grenzen nach außen hin gegen Fremde verschließt. Ihre Stücke – stets episch und lyrisch, diskursiv und anarchisch, abstrakt und phantastisch zugleich – gleichen also eher Interventionen. Das Theater selbst versteht sie nicht so sehr als Akt der einseitigen Konsumtion, sondern als Instrument und Medium der praktischen Aufklärung: als öffentlichen Raum, der auch die Zuschauer dazu aufruft, gemeinsam in einem Raum zu agieren, zu handeln – und auf diesem Wege idealiter demokratische Prozeduren zu proben. Ivana Sajko – die ihre post-dramatischen Theater-„Zersetzungen“ in einer Ahnenreihe mit Gertrude Stein und Robert Wilson angesiedelt sieht – folgt also keinem mimetischen Ansatz, sondern sieht Sprache als eine Art Maschine: Wie in einem Generator mixt sie das Material der Sprache mit anderen Künsten – der Musik, dem Film – und erzeugt Spannung nicht allein durch Handlung und Text, sondern auch durch Rhythmus, Klang, Metrik, Wiederholung, Brüche. Von diesen Ingredienzien lebt auch ihr erster Roman „Rio Bar“, für den Ivana Sajko 2006 mit dem Ivan-Goran-Kovačić-Preis für das beste Romandebüt geehrt wurde (seit 2013 ist sie übrigens auch Trägerin des Chevalier-Ordens der Künste und Literatur in Frankreich): Eine vom Krieg traumatisierte Frau sitzt im Jahr 2005 in der gleichnamigen Rio Bar in Rovinij und versucht, den Text „Acht Monologe über den Krieg für acht Schauspielerinnen in Brautkleidern“ zu verfassen. Die Heldin selbst, so kann man vermuten, ist eine dieser acht Frauen: Zehn Jahre zuvor wurde ihre Hochzeitsfeier durch den Krieg jäh beendet und ihr Bräutigam zur Arme einberufen, sie verfällt dem Wahnsinn und näht im Bunker Verbände aus ihrem zerfetzten Hochzeitskleid. Der atmosphärisch dichte Text changiert in seiner bildhaften, geradezu körperlichen Sprache zwischen den Gattungen (Monolog / Roman) und wechselt wie ein Vexierspiel beständig die Stimmen. Wer spricht, ist allerdings unklar. Denn die Stimmen sind bis zur Unkenntlichkeit ineinander verschlungen. Zugleich zählt der Vorgang des Sprechens selbst zu den acht Akteurinnen. Immer wieder öffnet sich der Text in alle möglichen Richtungen, wird durchlässig, da torpediert von Minenfeldern grundsätzlicher Natur: von Erinnerungen, Angst, Fremdenhass und damit von den traumatischen Nachwehen des Jugoslawienkrieges, der – zehn Jahre nach seinem Ende – die Menschen noch immer heimsucht. „Rio Bar“ erweist sich somit als ein (mit abgründigem Humor gewürzter) bitterer Bericht über eine Welt in Trümmern, lotet aber zugleich die Möglichkeit der Kunst aus, wie über den Krieg jenseits hohler Formeln und überholter Formen gesprochen werden kann. Zuletzt hielt Ivana Sajko in ihrem Essayband „Auf dem Weg zum Wahnsinn (und zur Revolution)“ ein flammendes und furioses Plädoyer für die Kraft der Literatur: diese stifte nicht nur Sinn, sondern rufe im besten Falle zu Taten auf. In ihrem Werk gehen Kunst und politische Theorie jedenfalls in einzigartiger Weise Hand in Hand. Dass sie wie nebenbei unseren Begriff von Freiheit sowie die (bedrohten) Fundamente unserer zivilen Gesellschaft befragt – und diese Bedrohung jüngst auch in den westlichen Gesellschaften in zunehmendem Maße spürbar wird, hebt die grundlegende Bedeutung und Aktualität dieser so kompromisslosen wie leidenschaftlichen Autorin und ihrer Sprache eines Widerstands umso mehr hervor.

Text: Claudia Kramatschek

Rio Bar. Roman. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2008. – Archetyp: Medea. Bombenfrau. Europa. Theaterstücke. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Verlag der Autoren, Frankfurt 2008. – Trilogie des Ungehorsams. Theaterstücke. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Verlag der Autoren, Frankfurt 2012. – Auf dem Weg zum Wahnsinn (und zur Revolution). Eine Lektüre. Essayband. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2014.

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