Ungarn, Literatur, 2023, in Berlin

Kinga
Tóth

Foto: Jasper Kettner

Kinga Tóth trifft die Entscheidung zur unbeirrten Unentschiedenheit und trägt die Konsequenzen in Schrift, Klang und Körper: Die Mehrsprachigkeit, Mehrstimmigkeit, das sprunghafte Changieren zwischen Sphären, Genres und künstlerischen wie politischen Identitäten ist das künstlerische Mittel, das Tóths Texten, Auftritten und darin ihr selbst als Person eine einzigartige Aura verleiht. Die Sprachwissenschaftlerin, Visual&Sound-Poetin, Illustratorin und Kulturmanagerin schreibt auf Deutsch, Ungarisch und Englisch. Ihre Texte präsentiert sie in Installationen und Performances auf der ganzen Welt, ungeachtet sprachlicher und kultureller Barrieren. Nicht zu vergessen die prekäre Arbeit als Gründerin einer Organisation für Gleichberechtigung und Repräsentation von Frauen im ungarischen Literaturbetrieb.

Um dem Anspruch ihrer Kunst gerecht zu werden, lohnt es sich, ihre Arbeiten als Entitäten zu begreifen, die zwar eigenständige Ziele verfolgen, aber gleichzeitig einen Metakorpus bilden, der sie rückwirkend repräsentiert und von ihnen repräsentiert wird. Tóths Gedichte, die Klangwelten, in denen Sie Platz finden und sie selbst als ihnen nahestehende Person setzen sich ins Verhältnis zur Welt. Ihre Existenz stellt dabei die grundsätzliche Frage nach der Möglichkeit und Unmöglichkeit künstlerischen Arbeitens unter fragilen politischen Vorzeichen.

Dort, wo diese Frage am klarsten anklingt, entwickeln diese Gebilde eine unheimliche Kraft, einen Schutzschild gegen die Missstände, die sie anprangern. Kinga Tóth als Person, stellvertretend für ihre Werke, und ihre Werke, stellvertretend für sie, teilen sich die edle Aufgabe, sich in Hilfsgüter für Bedürftige zu verwandeln. Statt zu trösten, rufen sie auf zu handeln. Statt Aufmerksamkeit zu fordern, verschenken sie Energie.

Das althergebrachte Diktum einer Trennung von Form und Inhalt wird in diesen Werken mir höchster Eleganz unterlaufen. Der Klang weiß um die Nachricht, die er transportiert. Die Nachricht weiß um ihre Überbringerin und die Überbringerin kennt sich mit dem Kontext bestens aus. Nur so werden Text, Klang und Körper zum organischen Ganzen. Nur mit Hilfe des ausdauernden, rücksichtslosen Reflexionsprozesses, den Kinga Tóth betreibt, einschließlich der Gleichschaltung der Person mit ihrem Werk, entsteht die für eine bewusste Kunstproduktion notwendige Distanz und – damit einhergehend – die notwendige Nähe, um diesem bewussten Schaffen Momente der Überraschung, Transzendenz und Klarsichtigkeit zu verleihen. Tóths Kunst zeigt sich auf diese Weise höchst aktuell, akut und politisch. Mit einer Überschreitung der Grenzen gibt sie sich nicht zufrieden. Der Blick dahinter und die Auswertung und Darstellung des Unbekannten ist das Mindeste, was diese Werke zu leisten vermögen.

Text: Yevgeniy Breyger

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