Litauen, Musik, 2017

Arturas
Bumšteinas

Eine Hand spielt Klavier. Im Video bekommt die Melodie einen Text. Der Anfang: „Konzeptkünstler sind eher Mystiker als Rationalisten“. Wenn Arturas Bumšteinas
den Konzeptualismus-Guru Sol LeWitt zitiert, ist das vielleicht auch Kunst, aber in erster Linie ein Bekenntnis. Eine Huldigung. Der 1982 in Vilnius geborene Multimediakünstler könnte LeWitts Enkel sein. Die 31 Thesen des US-Amerikaners hat er sich zu eigen gemacht. „The idea becomes a machine that makes the art“ könnte auch über dem Werkkatalog des Litauers stehen. Weil er aus der historischen Tonaufnahme eines jüdischen Kantors, die er im Phonogrammarchiv in Wien gefunden hat, die Originalstimme entfernt und in das leere, akustische Bett aus Rauschen und Kratzen die Stimmen von Laien projiziert, die das Original beim ersten Hören mitgesungen haben.

Archive sind eine Konstante im Schaffen des jüdischstämmigen Multimediakünstlers. Viele seiner Werke handeln vom Erinnern und Vergessen. Wie in Rise and Fall of „Jakob Bauer“ (2017) arbeitet Bumšteinas immer wieder mit der Aura alter Dokumente. Er collagiert Gamelanaufnamen („Gamelan Descending a Staircase“, 2015), Hörspielmusik („So-called Space“, 2015) oder Partiturfragmente von Schönbergs „Pierrot Lunaire“ („Parody of Parodie“, 2016), wobei es nur selten bei der schlichten Kontext-Verrückung bleibt. Arturas Bumšteinas spielt mit der Ready-Made-Ästhetik von Marcel Duchamp, aber die reine Ausstellung des gefundenen Materials reicht ihm nicht. Schönbergs Notentext lässt er nach eigenen Vortragsanweisungen von Live-Musikern neu interpretieren, zum Gamelan-Soundtrack improvisieren drei Trompeter. Die Objets trouvés werden Teil multimedialer Performances und Installationen, in denen der Künstler oft auch selbst auftritt. Performances wie „An Attempt to Meet“ von 2015 haben Ähnlichkeiten mit dem dokumentarische Alltagstheater von She She Pop. Bumšteinas hat für diese Produktion Menschen nach ihren Erinnerungen an Songs gefragt und das Material einem Erzähler und einer Sängerin übertragen. Das einzige Bühnenrequisit ist ein Kamin mit gemauertem Schornstein. Die Sängerin klettert hinauf, ein Feuer brennt, später spricht der Erzähler in den Schacht. Das Setting ist zugleich Bühnenbild und akustischer Filter.
In einem anderen Projekt („More Music for Sam“, 2015) mixt Bumšteinas das Format des journalistischen Interviews mit Hörspiel, Theater und Tanz. Auch hier geht es um Aural History. Um Vergänglichkeit und persönliche Erinnerungen. Seine Interviewpartnerin ist die finnische Performancekünstlerin Inari Virmakoski, die sich an Orte, Rituale und auch Musik aus ihrem Leben erinnert.
Arturas Bumšteinas arbeitet in Serien. Im Mittelpunkt einer Werkreihe stehen Tonpfeifen, für eine andere („Organ Safari“) besucht der Komponist Kirchen und nimmt den Klang der Orgelpfeifen auf. Den Orgel- und Tonpfeifen begegnet man auch in anderen Stücken wieder, ebenso den Schriftbildern von Robert Smithson („Heap of Language“, 2009). In einer anderen Serie experimentiert Bumšteinas mit barocken Bühnenmaschinen. Eine davon ist „Bad Weather“ (2017). Darin begleiten die Geräusche von Donner, Wind und Regen eine singende Kuratorin, in einer Rundfunkproduktion kombiniert der Multimediakünstler die historischen Geräuscherzeuger mit historischen Sprachaufnahmen des Futuristen Luigi Russolo („Epiloghi – Six Ways of Saying Zangtumbtumb“, 2013).
Die Bühnen- und Ideenmaschine generiert immer neue Varianten für wechselnde oder kombinierte Medien. Den Produktionen haftet nicht selten der Charme eines Fluxus-Happenings an. Die thematische Konstante in diesem vielgestaltigen Schaffen sind Archive, Stimmen und Erinnerungen.
Arturas Bumšteinas‘ Arbeit gleicht der eines spekulativen Medienarchäologen. Dazu passt der Einsatz der historischen Medien: die barocken Geräuschmaschinen, Phonographen oder auch ein russischer analoger Synthesizer. In den Soundtracks der Mixed-Media-Installationen, Performances, Radiokunstwerke, Kompositionen, Bühnenstücke und elektronischen Improvisationen konzentriert sich die Musik – sofern es sich nicht um Fremdzitate handelt – auf die Qualitäten von Klang und Geräusch. Drones füllen Räume, begleiten Installationen und Inszenierungen. Anders verhält es sich bei den Zitatcollagen. Hier wird der Stil von der Idee und vom Objet trouvé bestimmt, das seine eigenen Gesetze geltend macht. Und nicht selten macht sich eine Stille breit, die an einen anderen, in der Musik verwurzelten Konzeptkünstler erinnert. An John Cage, mit dem Arturas Bumšteinas den weiten Materialbegriff und die interdisziplinären Grenzgänge teilt.

Text: Martina Seeber

Vergangen

zum Seitenanfang