Name Bousselmi, Meriam |
Land Tunesien |
Der stark philosophisch argumentierende Monolog sondiert dabei vor allem die psychologischen Muster der alltäglichen Unterwerfung und legt nahe, dass Freiheit nicht von außen verordnet, sondern nur von innen heraus erlangt werden kann. Von solch emanzipatorischer Kraft lebt auch das Stück „Sünde Erfolg“: Basierend auf eigenen Erfahrungen – Meriam Bousselmi wurde ein wichtiger Preis verliehen, doch auf die Bühne wurde statt ihrer der Produzent des Stückes gerufen – verhandelt sie darin das Rollenmodell der unterwürfigen Frau und die Frage nach der Unmöglichkeit weiblichen Erfolgs in einer von Männern beherrschten Gesellschaft. Angelegt wie ein Stück im Stück, wechselt der Text beständig die Ebenen: Fiktion, Kommentare der Fiktion und die Rekonstruktion biografischer Erfahrungen aller Akteurinnen gehen ineinander über; die Ansichten der Figuren überschneiden sich mit denen der sechs Schauspielerinnen. Das Verhältnis der Geschlechter, vor allem das Tabu der Jungfräulichkeit, steht auch im Mittelpunkt von „Brouillon de vie“ – einem mit allen Wassern der Postmoderne gewaschenem Buch, das sich in kein Genre einordnen lässt und 2007 mit dem Literaturpreis des Arab Fund for Arts and Culture ausgezeichnet wurde. Inzwischen weht im Zuge der Arabellion auch in Tunesien für Frauen bekanntlich ein anderer Wind, und so sind Meriam Bousselmis künstlerische Einlassungen zu Formen nicht nur des weiblichen Widerstands zwar umso dringlicher, aber auch umso riskanter. „Sünde Erfolg“ feierte daher Uraufführung 2013 in Köln. Die „Truth Box“ – eine Art öffentlicher Beichtstuhl, der an unterschiedlichen Orten im öffentlichen Raum installiert werden kann – gelang im gleichen Jahr in Berlin zur Uraufführung. Das Stück ist eine fortlaufend erweiterte Sammlung intimer Beichten von Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Milieus und Klassen. Der Zuschauer wird dabei zum Zuhörer, das Intime zur Res publica, der Theaterraum zu einer antiken Agora, die daran erinnert, was der öffentliche Raum im Idealfall sein kann: Ein Raum der Gleichwertigkeit, der Pluralität und des freien Austauschs von Worten, Werten und Erfahrungen. Moralische Urteile zu fällen, liegt der Autorin auch in diesem Stück gänzlich fern. Vielmehr versteht sie all ihre Stücke als einen Ort, an dem der in ihrer Heimat dringend notwendige Dialog eröffnet und gelernt werden könne. Denn die Revolution ist zwar erst einmal vorbei, der gesellschaftliche Umbruch allerdings noch immer in vollem Gange. Jeden Tag gilt es auch für die Kunst, im Tauziehen zwischen den konservativ-islamistischen und den liberalen Kräften die eigenen Freiheiten, Grenzen und Pfründe neu zu verhandeln. Meriam Bousselmi lässt sich davon nicht abschrecken, im Gegenteil: „Da das Theater nicht die Welt verändern kann“, so die Autorin, „müssen wir die Art, wie wir Theater machen, ändern.“ (In: taz, 16.11.2013, Gespräch mit Christoph Zimmermann)
Text: Claudia Kramatschek
Foto: Bohumil Kostohryz