Polen, Literatur, 2020

Jacek
Dehnel

Foto: Jasper Kettner

Er ist ein Mann mit vielen Talenten: Maler, Übersetzer, Literaturkritiker, Publizist, Fernsehmoderator, Kulturmanager und einiges mehr. Doch vor allem ist der 1980 in Danzig geborene Jacek Dehnel ein äußerst erfolgreicher Schriftsteller. Das Image eines mit allen Wassern gewaschenen Intellektuellen pflegt er genauso sorgfältig wie das eines bekennenden Homosexuellen und stilbewussten Ästheten. Man denkt an Oscar Wilde und Tom Wolfe, gibt aber auch schnell zu, dass seine Vorliebe für Fliegen und Gehstöcke bestens mit seinen feinen Gesichtszügen und tadellosen Manieren harmoniert.

In seiner schriftstellerischen Karriere – er hat bislang mehrere Romane, Erzählbände und Gedichtsammlungen publiziert – scheint es ebenso wenig Platz für einen Zufall zu geben wie in seinem Outfit. Seine Entschlossenheit, dem eigenen Leben einen Hauch von Originalität und Erhabenheit zu verleihen, und diese Mischung aus intellektueller Disziplin und ästhetischer Wachsamkeit verdankt er offenbar seinem Elternhaus, vor allem seiner Großmutter, die ihn über Jahre intellektuell formte, und seiner Mutter, einer Malerin.

Die beiden Frauen haben ihn auch zu seinen bekanntesten Werken inspiriert. Zum einen ist es der autobiografische Roman Lala (2006, dt. 2008), in dessen Mittelpunkt seine Großmutter steht: eine alte Dame, die in ihrer Jugend auffallend schön, aber auch intelligent, mutig und unternehmungslustig war und dieser Mischung von äußeren und inneren Qualitäten eine enorme Fülle von Erlebnissen verdankt. Da sie sich in hohem Alter auch noch als eine passionierte Erzählerin entpuppt, verwebt sie ihre Erinnerungen zu einem riesigen, bunten Geschichtenteppich, dessen raffiniertes Muster der Verworrenheit der polnischen Schicksale im 20. Jahrhundert entspricht. Und zum anderen der Roman Saturn (2011, dt. 2013), der wohl nicht zuletzt darauf zurückgeht, dass Dehnel ursprünglich in die Fußstapfen seiner Mutter treten und Maler werden wollte. Er erzählt darin nämlich die wichtigsten Episoden aus dem Leben von Francisco Jose de Goya, von dessen sieben Kindern nur ein einziger Sohn überlebte: Javier, über den nur bekannt ist, dass der ebenfalls Maler wurde. Dehnel greift sowohl diese Fakten als auch den Umstand auf, dass das Verhältnis zwischen Vater und Sohn problematisch war, und beleuchtet die gleichen Situationen abwechselnd aus der Sicht beider Männer. Der geniale Maler erscheint plötzlich als ein egoistischer und selbstverliebter Haustyrann, Vielfraß und Flegel, der seine wahren Erfolge durch erfundene potenziert und seinen Sohn mit Genuss als einen permanenten Versager hinstellt.

Zu den vielen Talenten von Jacek Dehnel gehört auch die Fähigkeit, historische Motive mit den heutigen polnischen Realien zu verknüpfen. Das tat er zuletzt in dem 2019 erschienenen Schelmenroman Aber mit unseren Toten (demnächst auf Deutsch), in dem die Geister der Vergangenheit zurückkehren, um den Europäern polnische Werte zu vermitteln, im Endeffekt aber nur für viel Chaos sorgen. Der Titel geht auf einen vielbeachteten Essay der Literaturwissenschaftlerin Maria Janion zurück: „Nach Europa ja, aber mit unseren Toten“. Und wenn man weiß, mit welcher Entschiedenheit Dehnel sich im öffentlichen Leben engagiert, etwa indem er öffentlich die aggressive politische Rhetorik geißelt oder für die Rechte der Homosexuellen eintritt, versteht man, warum man in ihm eine der prägnantesten Persönlichkeiten der polnischen Literaturszene sieht.

Text: Marta Kijowska

Lala
W.A.B., 2006

Lala
Rowohlt, 2008 (Ü: Renate Schmidgall)

Lala
Oneworld Publications, 2018 (Transl.: Antonia Lloyd-Jones)

Saturn. Czarne obrazy z życia mężczyzn z rodziny Goya
W.A.B., 2011

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya
Hanser, 2013 (Ü: Renate Schmidgall)

Saturn
Dedalus Books, 2013 (Transl.: Antonia Lloyd-Jones)

Mrs Mohr Goes Missing
Bloomsbury, 2019 (co-written with Piotr Tarczyński and translated by Antonia Lloyd Jones)

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