Georgien, Film, 2020

Salomé
Jashi

Photo: Jasper Kettner

In Salomé Jashis Filmen liegt eine gewisse Stille. Vor einer unbeweglichen Kamera spielen sich Szenen in ihrem eigenen Rhythmus ab, die ProtagonistInnen bemerken die Anwesenheit der Regisseurin offenbar gar nicht. Für die ZuschauerInnen scheint es sich um eine von der Kamera ungestörte Realität zu handeln: die Realität Georgiens, Jashis Heimatland. 1981 in Tiflis geboren, studierte sie Journalismus und arbeitete einige Jahre als Reporterin, bevor sie nach London zog, um dort Dokumentarfilm zu studieren.

Sieht man Jashis Filme das erste Mal, stellt sich schnell die Vermutung ein, dass ihre geduldige und still beobachtende Herangehensweise eine Reaktion auf ebendiese Erfahrung ist: Sie entledigt sich der abgenutzten Kunstgriffe der Fernsehberichterstattung, um eine andere Art von Wirklichkeit zum Vorschein zu bringen.

Jashis Filme scheinen alle über die Idee unterschiedlicher Fokussierung, über Realitäten – im Plural – zu reflektieren, über die Abhängigkeit dessen, was „echt“ ist, vom jeweiligen Standpunkt. In ihrem Kurzfilmdebüt Their Helicopter (2006) folgen wir einer Chewsuren-Familie durch die Scheiben eines abgestürzten tschetschenischen Hubschraubers, der sich zu einem Spielplatz entwickelt hat. Wir sehen, wie eine kleine Gemeinschaft ihre eigene Logik im Schrott der Zivilisation findet. In dem experimentellen Kurzfilm Speechless (2009) drückt sich die Wirklichkeit des Krieges eindrucksvoll in den Gesichtern der Überlebenden des russisch-georgischen Krieges von 2008 aus – ohne dass ein einziges Wort fällt. Krieg ist auch das Thema in Jashis neuester Arbeit, dem vierminütigen Kurzfilm The Tower (2018), in dem eine Familie eine Bestandsaufnahme ihrer Verluste macht. Auch hier spielt der Fokus eine tragende Rolle: Nie richtet Jashi ihre Kamera nie auf die kärglichen Reste des einstigen Eigentums, sondern darauf, was übrig geblieben ist: die Familie selbst.

Ihr erster langer Dokumentarfilm, Bakhmaro (2011), handelt von einem heruntergekommenen Gebäude in der Gebirgsstadt Gauri. Die InhaberInnen der dortigen Geschäfte kämpfen ums Überleben, Kundschaft ist kaum vorhanden. Es ist der erste Film, bei dem Jashi selbst für die Kameraführung verantwortlich zeichnet, aber schon hier tritt ein Charakteristikum hervor, das sich in ihren späteren Arbeiten verstärkt findet: aufwendig komponierte Tableaus, in denen die Objekte auf der Leinwand beinahe die Qualität eines Stilllebens bekommen; Schattierungen von Braun-, Grau- und Schwarztönen übersät mit plötzlich explodierenden leuchtenden Farben; Bild im Bild; die überraschende Schönheit schreiender Farben, die mit traditionell-gedeckten Tönen kontrastiert.

Ihre jüngste Langfilm-Dokumentation, das preisgekrönten The Dazzling Light of Sunset (2016), entwickelt diese ästhetischen Stimmungen weiter. In dieser kontemplativen Arbeit werden die BetrachterInnen durch den Mikrokosmos eines georgischen Dorfes geführt, an der Seite einer Fernsehreporterin, die ihre Tage damit verbringt, gewissenhaft von den großen und kleinen Ereignissen in ihrem Dorf zu berichten. Der Bezug zu Jashis eigenen journalistischen Erfahrungen liegt nahe, da sie nicht nur zeigt, was die Reporterin kommuniziert, sondern auch, was hinter der Kamera passiert. Dabei generiert sie verschiedene, zeitweise widersprüchliche Bilder, die mehrere Schichten der Wirklichkeit enthüllen, die sie abbildet. Wie in all ihren Filmen geht es ihr nicht darum, unseren Blick oder unsere Gedanken anzuleiten. Vielmehr lässt sie uns – behutsam – selbst sehen und unsere eigenen Schlüsse ziehen. Manchmal ist alles eine Frage der Fokussierung.

Text: Live Øra Danielsen
Übersetzung: Anna Jäger

2006: Their Helicopter
(Kurzfilm)

2009: Speechless
(Kurzfilm)

2011: Bakhmaro
(Dokumentarfilm)

2016: The Dazzling Light of Sunset
(Dokumentarfilm)

2018: The Tower
(Kurzfilm)

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