Walled Unwalled

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Mit Arbeiten von Lawrence Abu Hamdan

Ausgangspunkt der audiovisuellen Installationen und Performances von Lawrence Abu Hamdan ist die Erforschung des auditiven Bewusstseins und Gedächtnisses, meist am Beispiel von hochpolitischen Zusammenhängen. Parallel zu seiner künstlerischen Arbeit arbeitet Abu Hamdan häufig als Klangexperte mit dem am Goldsmiths College, University of London, angesiedelten unabhängigen Institut Forensic Architecture zusammen, das Menschenrechtsverletzungen mit kreativen wissenschaftlichen und technischen Methoden aufdeckt und in diesem Jahr für den Turner Preis nominiert wurde.

In seinem eigenen künstlerischen Werk, in das auch Aspekte seiner Forschung für Forensic Architecture Eingang finden, präsentiert Abu Hamdan abstrakte Szenarien, welche die akustischen Eigenschaften, den Widerhall staatlicher, struktureller oder industrieller Gewalt, von Überwachungsmechanismen oder Propaganda analysieren. Dabei kommen verschiedene Medien und Verfahren zum Einsatz, wie Lecture-Performances, Klang- und Videoinstallationen, Skulpturen oder die Visualisierung wissenschaftlicher Daten in Form von Zeichnungen oder Graphen.

Mauern und Wände bestimmen in Zeiten von Transparenzgesellschaft und gleichzeitiger Vereinzelung und Grenzziehung zunehmend unsere komplexe Lebensrealität. Mit diesen Themen beschäftigt sich Abu Hamdan aus akustischer Perspektive in dem neuen, in Berlin entstandenen Video-Essay „Walled Unwalled“ (2018), das in ehemaligen Tonstudios des Rundfunks der DDR im Funkhaus Berlin in der Nalepastraße gedreht wurde. Die beweglichen Wände und unterschiedlichen Oberflächenmaterialien der historischen Klangeffektstudios bilden das perfekte Setting für Abu Hamdans essayistische Analyse der Schallabsorption und -reflexion und der (Schall-) Durchlässigkeit von Wänden und Mauern anhand verschiedener politischer Fallbeispiele: Der Fall Danny Lee Kyllo gegen die Vereinigten Staaten, der Mordprozess gegen Oscar Pistorius in Südafrika und Abu Hamdans Recherche-Ergebnisse zum Fall des syrischen Gefängnisses Saydnaya werden erwähnt, ebenso wie die Rolle des amerikanische Senders Radio Free Europe, der sich im Kalten Krieg von München aus an die Hörer jenseits des Eisernen Vorhangs richtete.

„Walled Unwalled“ zeigt überwiegend den Künstler selbst, der hinter einem Mikrophon des Klangstudios steht und in der Art einer Lecture-Performance einen Text vorträgt. Gefilmt wird sein Vortrag von außen, durch die großen Fensterscheiben der drei durch bewegliche Wände und Türen miteinander verbundenen, einst hochmodernen Klangeffektstudios, in denen sich „jegliche Art von akustischem Raum herstellen ließ“ (Abu Hamdan). Im Hintergrund werden die klangabsorbierenden Wandelemente der Studios bewegt, Türen geöffnet und Räume durchschritten. Die im Vortrag eingespielten Film- und Tonbeispiele werden auf die Fensterscheiben der Studios projiziert. Dieses Aufzeigen und Austesten der akustischen Eigenschaften von Wänden, ihrer isolierenden und reflektierenden Funktion und die Schichtung der Bildebenen auf den Fensterscheiben wird in der Präsentationsweise des Videos in der daadgalerie nochmals aufgegriffen. Hier wird das Videobild aus dem Lager der Galerie per Rückprojektion auf eine in die Wand eingebaute Glasscheibe projiziert, die wie ein Fenster Ausstellungsraum und Lager verbindet. Als Projektionsfläche ist die Glasscheibe transluzid, so dass sich auf ihr das Videobild, sichtbare Teile des Lagers und das Licht des Projektors sowie die Reflektion der Straßenfassade überlagern.

Die simple Intervention in den Ausstellungsraum – eine Referenz an die institutionskritische Kunst der 1970er bzw. 1990er Jahren – zeigt, wie sich in Abu Hamdans essayistischem Ansatz auf spannende Weise Politik, Forschung und Aktivismus mit einem starken Formbewusstsein verbinden.

Eine der bekanntesten Arbeiten Abu Hamdans in Zusammenarbeit mit Forsensic Architecture war die Untersuchung der Umstände einer Erschießung zweier Jugendlicher in der Westbank durch israelische Soldaten 2014. Mithilfe einer detaillierten Analyse von Aufnahmen der Schussgeräusche konnte die offizielle israelische Version des Verbrechens widerlegt werden. In seiner Ausstellung „Earshot“ (2016, Portikus, Frankfurt) beschäftigte sich Abu Hamdan erneut mit dem Vorfall in Form eines Videos und einer Foto-Installation, für die er Methoden der Visualisierung von Klang verwendete.

Im Auftrag von Amnesty International hat Forensic Architecture 2016 in Zusammenarbeit mit Abu Hamdan eine Rekonstruktion und Analyse der Abläufe in einem syrischen Gefängnis für politische Gefangene des Assad Regimes angefertigt. In dem Militärgefängnis Saidnaya nördlich von Damaskus wurden laut Amnesty seit Beginn der Proteste in Syrien 2011 über 13.000 Menschen ermordet. Bekannt wurden diese Vorgänge erst durch das Engagement von Amnesty International. Forensic Architecture und Abu Hamdan befragten ehemalige Gefangene und verwendeten aus der Architektur stammende technische Verfahren wie 3D-Modeling oder Echo Profiling. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden 2017 an die deutsche Staatsanwaltschaft übergeben.

Mit der Sound-Installation „Saydnaya (the missing 19db)“ (2017) präsentierte Abu Hamdan im Rahmen der 13. Sharjah Biennale 2017 in einem abgedunkelten Raum die aus der akustischen Analyse des Gefängnisses gewonnenen Erkenntnisse, basierend auf der auditiven Erinnerung der Zeugen, die letztlich die Beweise dafür liefern, dass in Saidnaya massenhaft Exekutionen stattgefunden haben. Eigene Ausführungen des Künstlers, Ausschnitte aus Zeugenaussagen und Tonbeispiele aus verschiedenen Kontexten verbinden sich zu einem eindrücklichen Hörstück, das jenseits der forensischen Beweisführung an einer Bewusstseinsschaffung für die auditive Wahrnehmung der Welt arbeitet. Die Schärfung der auditiven Sinne und ihr oft vernachlässigtes Potential ist ebenso Thema wie die Fehlbarkeit und der Interpretationsspielraum der auditiven Wahrnehmung. Abu Hamdans Arbeiten zum Saidnaya Projekt werden zurzeit in der Chisenhale Gallery in London präsentiert.

Lawrence Abu Hamdan (geb. 1985 in Amman, Jordanien) lebt und arbeitet in Beirut, Libanon. 2017 war er Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Jüngste Einzelausstellungen: „Lawrence Abu Hamdan: Hammer Projects“, Hammer Museum, Los Angeles, „Earwitness Theatre“, Chisenhale Gallery, London, „Walled Unwalled“, Tate Tanks, Tate Modern (findet im Oktober statt) (2018). Jüngste Auszeichnungen: Abraaj Group Art Prize und Baloise Art Prize (2018).

Di-So 12-19h

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