Kenia, Literatur, 2021

Yvonne
Adhiambo Owuor

Photo: Jasper Kettner

Yvonne Adhiambo Owuor trat 2006 mit einem Schlag ins literarische Rampenlicht, als sie den Caine Prize for African Writing gewann. Seitdem hat sie erheblich dazu beigetragen, die Sichtbarkeit der afrikanischen literarischen Kultur auf globalem Niveau zu stärken. Ihr Schreiben, im fiktionalen wie non-fiktionalen Bereich, beeindruckt ihre LeserInnen mit einer so eindringlichen wie vielschichtigen Darstellung des Lebens in Afrika.

Owuor ist eine der führenden Stimmen der zeitgenössischen afrikanischen Literatur, was nicht zuletzt auf eine profunde Sprachphilosophie zurückzuführen ist, auf der ihr Werk basiert. Ihr Schreiben ist ein ständiges Abtasten der komplexen Methoden, mit denen Sprache – als Poesie und als Form der Bezeugung – unsere Vorstellungen von Raum, Zeit, archetypischen Erscheinungen und Erinnerung formt.

Sie weiß die lyrische Kraft des Erzählens durch eine poetische Sprache zu nutzen, die nicht nur die Realität widerspiegelt, sondern auch in die tiefen, dunklen Unterströmungen der Gewalt in Geschichte und sozialer Existenz blickt. Owuor lädt ihre LeserInnen zu einer Teilhabe an traumatischen Erfahrungen ein, als privates Erlebnis oder kollektive Aufarbeitung – sei es in einem Roman wie Dust (2014), der vor dem Hintergrund der Gewaltausbrüche nach den Wahlen 2007 in Kenia spielt, oder in einer Kurzgeschichte wie Weight of Whispers (2006), die sich dem Völkermord in Ruanda annähert.

Entgegen einer afrikanischen Literaturtradition, die durch realistisches Erzählen die symbolische Grammatik der Kolonisation infrage zu stellen sucht, versteht Owuor Sprache als eine Magie, die kollidierende Realitäten so zu verknüpfen vermag, dass afrikanisches Leben in all seiner historischen Komplexität zum Vorschein kommt.

Auch in ihren nichtfiktionalen Texten sucht Owuor nach Darstellungen des Lebens, die sich einfachen Schlussfolgerungen widersetzen. Ihre Essays gehen ebenso wie ihre literarischen Werke schonungslos den unangenehmen Fragen nach Geschichte, Gewalt und Umweltzerstörung auf den Grund. Mit einfachen Antworten gibt sie sich in ihrer Darstellung der zeitgenössischen afrikanischen Welt nicht zufrieden, sucht nach etwas Fundamentalerem, was sie in ihrem Essay Reading Our Ruins „ein nacktes, instinktives In-die-Tiefe-Gehen“ nennt, „um aus zuvor ungesehener Perspektive eine andere Facette der Wahrheit über die conditio humana zu offenbaren.“

Ihre aktuellen fiktionale Arbeiten verschieben und sprengen Grenzen auf noch andere Weise. The Dragonfly Sea bezeugt, dass Owuor Teil einer neuen Generation afrikanischer Schriftstellerinnen ist, die dabei sind, das literarische Feld im Sturm zu erobern. Entgegen einer seit jeher männlich dominierten Tradition schreiben Autorinnen wie Owuor die Vergangenheit Afrikas um und gestalten die Gegenwart neu – eine Gegenwart, in der sie das Leben von Frauen in den Mittelpunkt stellen. The Dragonfly Sea ist ein Buch, das in einem früheren literarischen Klima undenkbar gewesen wäre.

Heute aber ist Ayanna aus The Dragonfly Sea eine von vielen jungen und entschlossenen Frauenfiguren, die in der zeitgenössischen afrikanischen Literatur auftreten. Diese Frauen spielen keine Standardrollen, die das Dilemma der Mutterschaft oder häusliche Sehnsüchte abbilden. Sie sind Hauptdarstellerinnen in Erzählungen und literarischen Erforschungen von historischer Tragweite. Sie sind sich vollständig über ihre Welt im Klaren und wissen, welche Grenzen dieser Existenz sie überwinden wollen.

Owuors literarisches Schaffen ist die stete Suche nach einer idealen Form des afrikanischen Geschichtenerzählens, die eine Wirklichkeit menschlicher Existenz jenseits von Klischees, Stereotypen und abgenutzten Konventionen intensiv darzustellen vermag.

Text: Ainehi Edoro
Übersetzung: Anna Jäger

Vergangen

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