Jordanien / Palästinensische Gebiete, Bildende Kunst, 2020

Saba
Innab

What is Unseen Cannot be Broken, Installationsansicht, 2018 Courtesy of the artist and Carnegie Museum of Art, Pittsburgh Foto: Bryan Conley

Die multidisziplinäre Praxis der palästinensisch-jordanischen Architektin, Künstlerin und Stadtforscherin Saba Innab (*1980) umfasst historische Recherche, Zeichnung, Kartografie, Modellbau und Installation. Innab untersucht die Schwebezustände zwischen Vergänglichkeit und Dauerhaftigkeit von Architektur und die Politik(en) räumlicher Repräsentation. Ein Schwerpunkt liegt auf Fragen nach dem Verhältnis von Architektur, Macht und Gewalt.

Innab hat als Architektin unter anderem am Wiederaufbau des palästinensischen Flüchtlingslagers Nahr el Bared im Nordlibanon mitgearbeitet. Dieses Projekt der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency) war 2013 für den Aga-Khan-Preis für Architektur nominiert. Ein wiederkehrendes Thema in Innabs Praxis ist die andauernde Besetzung Palästinas und die Bedeutung des Wohnens unter diesen Bedingungen sowie die Auswirkungen auf Architektur und Zeit im Zustand der Exterritorialität, der Flucht und des Exils. Ihre Arbeiten zeigen, wie Architektur selbst zu einem Ort des Konflikts wird und was es bedeutet, im Unbeständigen zu bauen.

Mit Materialien wie Gussbeton, Metall und Stein und dem spezifischen Wissen, welches diese Materialien mit sich bringen, stellt Innab Vergänglichkeit und Dauer einander gegenüber und untersucht die Vorstellung einer „fortdauernden Temporalität“* (bezogen auf das palästinensische Exil und die Vertreibung) und deren räumliche Manifestation. Um die Bedeutung bestimmter baulicher Elemente – und des darin eingebetteten Wissens – für den jeweiligen Forschungskontext herauszuarbeiten, isoliert und abstrahiert Innab einzelne architektonische Merkmale und konstruiert mit der Sammlung und Neusortierung dieser räumlichen Typologien alternative und spekulative Strukturen und Interpretationen. Ihre Objekte bieten so ein neues Verständnis von Raum oder Zeitlichkeit und ermöglichen eine andere Art des Sehens.

Durch das Sammeln und (Wieder-)Aneignen von Methoden und deren Reproduktion hinterfragt Innabs Praxis auch, wie die „fortdauernde Temporalität“ dokumentiert und als Teil einer Architekturgeschichte betrachtet werden kann, die normalerweise vom globalen Norden aus geschrieben wird. 2019 gründete Saba Innab gemeinsam mit ihrer Schwester Nuha Innab OPPA (On/Pre/Post Act), ein Architektur- und Forschungskollektiv, das sich mit der gebauten Umwelt, urbanen Kontexten und den gesellschaftspolitischen Einschreibungen in den Raum beschäftigt. Angesiedelt zwischen Theorie und Praxis will OPPA alternative Lesarten ermöglichen, die kritisch und zugleich imaginativ sind.

Saba Innab erwarb den Bachelor of Architectural Engineering an der Jordan University of Science and Technology. 2014 war sie Gastforscherin am Studio Amman – GSAPP (Graduate School of Architecture, Planning and Preservation) und nahm 2011 bis 2012 am Home Workshop Program in Beirut teil. Ihre Arbeiten waren unter anderem zu sehen bei: Station Point, ifa-Galerie Berlin (2019); der 57. Carnegie International in Pittsburg, US (2018); der Biennale d’Architecture d’Orléans, FR (2017-2018); Missverständnisse, Campo, Rom, IT (2016); This Sea is Mine, Darat al Funun, Amman, JO (2016); Al Rahhalah, Marfa‘ Gallery, Beirut, LBN (2016); Marrakech Biennale 6, MAR (2016); Home Works 7, Ashkal Alwan, Beirut, LBN (2015); Lest the Two Seas Meet, Museum of Modern Art, Warschau, PL (2015); HIWAR/Conversations in Amman, Darat al Funun, Amman, JO (2013); Amman Journal, Forum Schlossplatz, Aarau, CH (2012); No-Sheep’s Land, Agial Art Gallery, Beirut, LBN (2011) und The Utopian Airport Lounge, Makan, Amman, JO (2010).

*Dieser Begriff wird von Sandi Hilal und Alessandro Petti benutzt, um die Transformation von der physischen Temporalität des Lagers zu konkreten urbanen Verdichtungen, die Veränderung eines vorübergehenden in einen dauerhaften Zustand, zu beschreiben. Innab verwendet diesen Begriff, um den komplexen Status der palästinensischen Deterritorialisierung, den Zustand des Wohnens in Vorläufigkeit, im Warten, auch jenseits der konkreten Verortung des Lagers, zu umschreiben.

Text: Anja Lückenkemper

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