USA, Musik, 2019

Matana
Roberts

Foto: Paula Court

Ausdrucksstark, engagiert und sinnlich treten dem Hörer die Arbeiten von Matana Roberts gegenüber. Die großteils autodidaktische mixedmedia Künstlerin berührt nicht nur das aufmerksame Ohr, sondern stößt zugleich auch immer wieder das kulturelle Gedächtnis an. Ihre experimentellen Klangwelten, nicht selten mit visuellen oder raumgreifenden Elementen gepaart, richten sich an alle und fordern gleichermaßen die multisensorische Wahrnehmung wie das Nachdenken heraus.

Als Musikerin zeichnen sich Matana Roberts’ Stücke, Konzerte oder Alben durch die klangliche und stilistische Offenheit der Chicagoer und New Yorker Free Jazz Szene aus. Verschiedene Ansätze integrieren dabei freie Spielweise in vorstrukturierte Formen, lassen unmittelbar Jazz-, Rock- oder Traditional-Elemente auf Improvisationsformen neuer Musik treffen und lenken die Explosionskraft des Free Jazz in durchhörbare Strukturen. (The Chicago Project, Central Control International 2007; Live In London, Central Control 2011; feldspar, Tour De Bras 2014).

In der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Familiengeschichte entwickelt Matana Roberts eines ihrer aktuell umfangreichsten Projekte, das sie auf eine ganz persönliche Entdeckungsreise in die afroamerikanische Geschichte der USA führt. Coin Coin ist eine Klang gewordene Hommage an die legendäre Marie Thérèze Coincoin, die sich im 18. Jahrhundert von ihrem Sklavinnendasein befreien konnte. Diese gesellschaftspolitisch bewegende Geschichte nimmt Matana Roberts kaleidoskopartig über verschiedene Kunst-, Musik- und Theater-Konzepte in den Blick. Ihr multimediales Projekt umfasst neben 12 Konzept-Alben, von denen bereits drei veröffentlicht wurden, Texte, Grafiken, audiovisuelle Installationen, Workshops und Konzerte. Coin Coin erscheint als panoramaartiges Klanggewebe aus fieldrecordings, elektronischen Klängen, Textrezitationen, Free Jazz Passagen, Gospel-/Bluesmusik und opernhaftem Gesang – ein ›Fiebertraum aus Klang‹, wie ihn die Künstlerin selbst beschreibt, mit eigenen Mythen und Geschichten.

Die Stück- oder Albenkonzeptionen zeichnen sich meist durch collagenartige Strukturen aus, die Matana Roberts auch in genreübergreifende Performances überführt – so etwa in den COIN COIN Happenings 2010/11 (Fields of Memphis, Trail of a Tear, Mississippi Moonchile und Gens de Couleur Libre), in der i call america Serie künstlerischer Explorationen 2015 oder in Blood.Blue(s): A Remembrance 2018. Für diese raumspezifischen Arbeiten entwickelt die Künstlerin neben graphischen Partituren (z.B. Trail of A Tear 2010, A Breathe 2017), Texte und Performancekonzepte. Über die experimentelle Kombination von Klang, Bild, Prosa, Gesang, Film, Objekten und musikalischer Improvisation beleuchten sie die Geschichte und gesellschaftspolitische Topoi – verschiedene Narrative, ein historisches Bewusstsein und politische Emphase treffen auf konzipierte sowie improvisierte Strukturen. Die Expressivität ihrer Collagen ist bis heute nicht nur Grundlage vieler raumgreifender Konzerte und Performances, sondern durchflutete bereits in zwei Ausstellungen (I Call America II 2016, jump at the sun 2018) den musealen Raum. Egal ob Matana Roberts als Musikerin oder Künstlerin auftritt, fast immer agiert sie zugleich auch als Ethnografin, Erzählerin und politisch engagierte Aktivistin.

Text: Fabian Czolbe

Vergangen

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